Gewerkschaftsnahe PR-Kritik (I)

Schelsky: Interessenübereinstimmung in der realen Bundesrepublik nicht gegeben

Weiter vorn hatten wir die PR-Auffassung von Herbert Gross dargestellt und als ideologisch im Sinne der Unternehmerschaft charakterisiert. Auch wissenschaftlich-objektiviert daherkommende PR-Verständnisse, die teilweise oder gänzlich übereinstimmende Interessen von industriegesellschaftlichen „Partnern“ postulierten, mussten auf Widerstand stoßen, wenn von gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Gruppen bzw. Akteuren Ausmaß oder generelle Möglichkeit einer solchen Interessenübereinstimmung anders eingeschätzt wurden.

Schelsky gegen Gross

Vor allem diesen Punkt problematisierten denn auch der gewerkschafts- und SPD-nahe Soziologe Helmut Schelsky – und einige andere Autoren – gegenüber dem „Marktwirtschaftler“ Gross. Schelsky rezensierte in einer gewerkschaftlichen Zeitschrift:

Am einfachsten ist der Aufweis (sic!, nicht Ausweis) einer allgemeinen Interessensolidarität natürlich dort, wo die Grundlagen der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung von allen gleichmäßig bejaht werden, weil auf ihnen auch ihr jeweiliges persönliches oder gruppenhaftes Interesse beruht.

(Schelsky 1952, S. 164)

Schelsky verwies dabei auf die „naive Selbstverständlichkeit“, mit der in den USA „noch (!? – T.L.) von allen Schichten die Grundwerte einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung bejaht werden“ (S. 164). Und er fragt weiter, denkt dabei an das seinerzeitige Westdeutschland:

Was aber, wenn in den Grundlagen der sozialen Ordnung Interessenverschiedenheit herrscht, wenn in den grundsätzlichen Ordnungszielsetzungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens die von der ‚modernen Meinungspflege‘ verkündete Interessensolidarität von wesentlichen Teilen der Gesellschaft angezweifelt wird?

(Schelsky 1952, S. 164)

PR gerät in Gefahr, nur „alte Interessentenpropaganda“ zu sein

Die konkrete Antwort Schelskys folgte auf dem Fuße. Es sei doch nicht zu übersehen, (…)

(…) dass in Deutschland – anders als in den USA – neben den Ordnungsvorstellungen der freien Marktwirtschaft ein von ebenso starken Kreisen gestütztes gegenteiliges Wirtschaftsordnungsbild der sozialistischen Wirtschaftsordnung oder der geplanten Vollbeschäftigung vorhanden ist, hinter dem starke und echte Interessen stehen. (…) Die Interessensolidarität muss erst einmal vorhanden, und das heißt bei uns: sie muss erst einmal geschaffen werden. ehe man sie in einer ‚modernen Meinungspflege‘ sichern kann. Sonst bleibt diese ein bloßer Versuch des Einredens, anstatt eines Nachweises der Interessengemeinsamkeit und ist damit nichts anderes als die publizistisch geschickter organisierte alte politische Propaganda sozialer und wirtschaftlicher Interessengruppen, in der sich die gruppenegoistischen Ziele schon immer mit dem Anspruch vortrugen, Grundlage des Allgemeinwohls zu sein, wobei leider die jeweils anderen über ihre Interessen durchaus klare und reale Vorstellungen hatten.

(Schelsky 1952, S. 165)

Schelsky kritisierte an Gross auch dessen elitäres Verständnis: Laut Gross vertrete „Meinungspflege“ auch den „Anspruch einer Schicht auf politische und soziale Führung“, den „Anspruch des Unternehmers auf Lösung der gesellschaftlichen Probleme im Rahmen seiner Institution, der Unternehmung.“ Dazu Schelsky kurz und knapp: „Eine Publizistik als Anspruch auf politische Führung durch eine soziale Gruppe nannte man schon immer politische Propaganda.“ (Schelsky 1952, S. 167)

Pahl: PR nicht als Kampfmittel der Unternehmerschaft gegen Arbeitnehmer-Mitbestimmung missbrauchen

Gewerkschafter Pahl und sein Auftraggeber DGB

Walther Pahl (1903-1969), Gewerkschafter und von 1950 bis 1954 Redakteur des Theorieorgans der bundesdeutschen Gewerkschaften, publizierte in „seiner“ Zeitschrift schon 1951 über Public Relations. Pahl war in der Weimarer Republik der SPD beigetreten, gehörte bald zu den „jungen Rechten“ in der Sozialdemokratie. Er verfolgte dabei staatssozialistisch-autoritäre Konzepte, was auch seine Annäherungen an das Dritte Reich und dessen Ideologie begünstigt hatte.1

Der im Oktober 1949 gegründete Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beschloss „wirtschafts- und sozialpolitische Leitsätze mit den Forderungen nach Sozialisierung der Schlüsselindustrien, Wirtschaftsplanung und Mitbestimmung“ – also ein Kontrastprogramm zu den marktwirtschaftlichen Vorstellungen beispielsweise von Herbert Gross (siehe weiter vorn). Im November 1963 gab sich der DGB ein neues Grundsatzprogramm, „das die Sozialisierungsforderungen des Münchener Programms von 1949 abschwächt, aber nicht aufgibt.“ (Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Gewerkschaftsbund )

Gewerkschaften nicht grundsätzlich gegen PR

Man kann davon ausgehen, dass Walther Pahl in seinem Beitrag „Public Relations. Soziale Betriebspolitik und Gewerkschaften“ (Pahl 1951) eine quasi gewerkschaftsoffizielle Position (DGB-Bundesvorstand) vertrat. Dafür spricht auch eine Fußnote in Schelsky 1952, in der der Soziologe Helmut Schelsky auf Walther Pahl verwies, welcher das Thema der PR „unter gewerkschaftlichem Gesichtspunkt“ behandelt habe. Pahl gab eine Definition für PR (siehe weiter vorn) und erklärte:

Wir behaupten nicht, dass jedes Partnerschaftsexperiment gewerkschaftsfeindlich ist, dass jede Werkszeitung den Gewerkschaften den Wind aus den Segeln nehmen will. Wir lehnen die PR-Aktivität nach innen und außen nicht von vornherein ab. Wir unterstellen nicht, dass jedes Institut zur Menschenbeeinflussung im Betrieb der Erziehung zur Werkshörigkeit dient. (…) Es geht nicht um die Frage: Für oder gegen soziale Betriebspolitik, für oder gegen Partnerschaft, für oder gegen PR. Es geht um die Frage, ob die soziale Betriebspolitik offen oder versteckt dazu missbraucht werden darf, um die Arbeitnehmerschaft aus ihren gesellschaftlichen Bezügen herauszulösen, die durch die Gewerkschaften repräsentiert werden.

(Pahl 1951, S. 193)

Dass PR theoretisch-prinzipiell nicht abgelehnt wurde, hing vermutlich auch damit zusammen, dass sich die US-amerikanischen Gewerkschaften erfolgreich dieses Instruments bedienten (vgl. dazu Schelsky 1955, S. 406). Explizit lobte Pahl die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten:

Man sollte doch die lobenswerten Bemühungen, von den USA zu lernen, auch auf das Verhältnis zwischen Management und Gewerkschaften in den Staaten ausdehnen. Dann würde man erfahren können, dass die amerikanischen Unternehmer in ihrer Mehrzahl sich sehr wohl hüten, der betrieblichen Partnerschaft, der PR-Arbeit usw. einen irgendwie antigewerkschaftlichen Akzent zu geben (…).

(Pahl 1951, S. 192)

Seinerzeitige PR aber überwiegend gewerkschaftsfeindlich

Die bundesdeutsche Realität sehe leider – abgesehen von wenigen Unternehmen mit meist USA-Beziehungen (S. 191) – anders aus. Üblicherweise seien „deutsche(n) PR-Propagandisten“ (S. 192) am Werk. Auch lagen Pahl, seit der Weimarer Zeit Gewerkschafter, noch die „sozialen Taktiken“ der DINTA (vgl. an anderer Stelle im PR-Museum) oder ähnlicher Arbeitgeber-Organisationen in den Knochen, die die Arbeiter total vereinnahmen wollten.2

Nach der Referierung von Stimmen aus dem Unternehmerlager, die entweder gewerkschaftsfeindlich sind oder der PR eine „ausgesprochen politische Sinngebung“ beimessen (S. 192), resümierte der Autor:

Leider sind die Maßnahmen, die heute im Rahmen der PR bzw. der sozialen Betriebspolitik durchgeführt werden, nur selten frei von dem Hintergedanken, die Gewerkschaften durch die Spaltung der Arbeitnehmerschaft zu schwächen bzw. sogar überflüssig zu machen. Solange das der Fall ist und solange die Unternehmerschaft ihre soziale Betriebspolitik aus einem Anti-Mitbestimmungskomplex heraus betreibt, wird sie mit dem Misstrauen der Gewerkschaften rechnen müssen.

(Pahl 1951, S. 194)

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Pahl hatte 1926 mit einer Arbeit über psychologische Wirkungen des Films promoviert. Er besitzt eine interessante und wechselvolle Biografie, die häufig auch zu Widerständen anderer Akteure führte. Seinen Posten beim Gewerkschaftsorgan musste er räumen, „als 1954 öffentlich Kritik an seinen publizistischen Tätigkeiten zwischen 1936 und 1945 aufkam“. Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Pahl_(Gewerkschafter) Abruf am 20.8.2020). Wikipedia schreibt den Vornamen ohne „h“.

2 Der Schöpfer der 1925 gegründeten Dinta (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung) habe „den Werkserziehungseinrichtungen die Aufgabe (gestellt), den Arbeiter bereits ‚als Frucht im Mutterleib zu erfassen und ihn erst zu entlassen, wenn er, unter den Klängen der Werkskapelle, nach der Einsegnung der Leiche in die Invaliden- und Alterswerkstatt des Werks auf den Schultern der Werksjugend zum Friedhof getragen wird‘.“ (Zitiert nach Pahl 1951, S. 193, Fußnote)