Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Handlungsorte: Österreich und Südosteuropa

Franz Ronneberger wurde mit Beginn des Zweiten Weltkriegs dienstverpflichtet. Im Rahmen dieser Dienstverpflichtung siedelte er 1939 mit seiner Familie nach Wien über.1 Dem erst 26-Jährigen wurde durch den Reichsstatthalter in Wien, Arthur Seyß-Inquart, der Aufbau einer Presseinformationsstelle des Auswärtigen Amtes übertragen. Gleichzeitig übernahm er einen Lehrauftrag für „Gesellschaft und Politik in Südosteuropa“ an der Hochschule für Welthandel in Wien.

Ronnebergers Tätigkeit in Südosteuropa für die militärische Abwehr – die er später selbst als „Spionage“ (mündliche Äußerung gegenüber G.BE., etwa 1993/94) bezeichnete – wurde durch seine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Welthandel und seine Beschäftigung mit Südosteuropa erleichtert. So gelang es Ronneberger auch, während des Krieges 1944 sein (erstes) Habilitationsverfahren zu staatswissenschaftlichen Aspekten Südosteuropas abzuschließen.

Bereits 1943 wurde die Presseinformationsstelle des Auswärtigen Amtes mit der Publikationsstelle Wien zusammengelegt. Diese Einrichtung unterstand direkt dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin unter Heinrich Himmler. Das RSHA wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von Reichsführer SS Heinrich Himmler durch Zusammenlegung von Sicherheitspolizei (Sipo) und Sicherheitsdienst (SD) gegründet. Das Amt stellte die zentrale Behörde dar, die alle Polizei- und Sicherheitsorgane in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus leitete.

Handlungsebenen: Multifunktionär und Medienarbeiter

Abb.: Titel einer Fachpublikation (2004) zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Herausgeber: Duchkowitsch, Wolfgang; Hausjell, Fritz; Semrad, Bernd. Lit-Verlag Münster.

Ronneberger war auf dem Höhepunkt seiner NS-Karriere – wie Heinelt auflistet – „SS-Untersturmführer“ – hatte also den niedrigsten Offiziersrang der SS inne – „und hauptamtlicher Mitarbeiter des Wiener SD, Gauhauptstellenleiter im Grenzlandamt der NSDAP-Gauleitung Niederdonau und Leiter der Außenstelle Südost der Reichsstudentenführung. Er leitete die Korrespondenzstelle Wien des Auswärtigen Amtes (Dienststelle Dr. Ronneberger) und den Nachrichtendienst der Südosteuropa-Gesellschaft (SOEG). Er war Dozent der Südost-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages an der Hochschule für Welthandel in Wien, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Union Nationaler Journalistenverbände (UNJ), des Völkischen Beobachters und anderer NS-Medien. Stellvertretend leitete er die Publikationsstelle Wien der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft (SODFG), die dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unterstellt war.“ (Heinelt 2002, S. 93 Herv. nicht im Orig.)

Handwerklich gesehen erlangte er vor allem Erfahrungen in der soziologischen Feldforschung (Ronneberger 1989, S. 59), später in der Pressebeobachtung und -dokumentation, der Informationssammlung und -aufbereitung, dem Aufbau und Pflegen von Kontakten und dem Verfassen von analytischen sowie persuasiven Pressetexten – eingepasst in die Bedingungen des NS-Staates und seines Kommunikationssystems (Heinelt 2003, S. 133, 140, 159).

Ronnebergers Verhältnis zum Nationalsozialismus I

In seiner nicht publizierten Autobiographie hat Ronneberger (1989) ausführlich dazu Stellung genommen, wie er in jungen Jahren seinen Weg in das nationalsozialistische, politische System gefunden hatte und darin berufliche Karriere machen konnte. Er entsann sich, schon 1924 in Weimar erste politische Erfahrungen als Schüler gemacht zu haben: Bei einem Lehrer, der im Ersten Weltkrieg eine Hand verloren hatte, avancierte er wohl auch wegen guter, schulischer Leistungen zum „Laufburschen“, der dem Lehrer Hefte von zu Hause holen und wieder hinzubringen hatte. Obwohl der Lehrer ihn parteipolitisch nicht indoktriniert habe, „herrschte doch allgemein ein nationaler und militanter Ton“ (Ronneberger 1989, S. 43). Ein schwarz-weiß-rotes Bändchen (Symbol für nationale Einstellung), das auf seiner Schülermütze um die Schulfarben geschlungen war und das sich Ronneberger verschafft hatte, fiel in Pößneck sofort auf und führte zu einem handgreiflichen Konflikt, als ältere Schüler ihm die Mütze und das Bändchen abnahmen. Ronneberger fasste seine frühe politische Überzeugung wie folgt zusammen:

Wenn ich meine damalige politische Überzeugung richtig deute, so lässt sie sich am ehesten mit einer distanzierten Neugier umschreiben. Vom Glauben an die Richtigkeit der Ludendorff‘schen Thesen konnte keine Rede sein, doch ich schloss ihre Bestätigung auch nicht aus.

(Ronneberger 1989, S. 46)

Das Jahr 1933, das Ronneberger als tiefen Einschnitt erlebte, brachte ihm eine Vorladung zu einem NS-Studentenführer, der ihn als „Studienstiftler“ auf seine Zugehörigkeit zur Elite ansprach und ihn fragte, ob er schon „zu ihnen“ gehöre, ob er also schon Parteimitglied sei. Ronneberger trat 1933 in die SA ein: „Meine Studienfreunde rieten mir, in die SA einzutreten und mich als Anwärter beim Studentenbund zu melden“ (Ronneberger 1989, S. 43).

Den „Röhm-Putsch“ 1934, der ja in Wirklichkeit die kaltblütige Ermordung der SA-Führung und weiterer Personen war, reflektierte er als Entmachtung der SA und gleichzeitigen Machtzuwachs der SS unter Himmler. Die Bücherverbrennung 1933 erlebte Ronneberger nicht durch eigene Anschauung, sondern nur durch die Medienberichterstattung. Er fühlte sich „unbehaglich“ dabei (Ronneberger 1989, S. 62), tröstete sich aber damit, dass solche Erscheinungen bei Revolutionen immer wieder vorgekommen seien. Die „Reichskristallnacht“ 1938 fand er damals, so rekonstruierte er später sein Gefühl, „ärgerlich“; ihm war aber auch damals schon klar, dass der offiziell angegebene Anlass, die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden in Frankreich, ein reiner Vorwand war. Er reflektierte, dass er auch damals „kein aktiver Antisemit“ war, obwohl er bestimmte „Berührungsängste“ Juden gegenüber durchaus wahrnahm (Ronneberger 1989, S. 69).

Seine rekonstruierte Einstellung zum Parlamentarismus in den dreißiger Jahren zeigt sich in folgendem Zitat:

Wir waren davon überzeugt, dass der Parlamentarismus am Ende sei und glaubten, dies an der Malaise in den benachbarten europäischen Ländern zeigen zu können. Uns schien daher der ‚Führerstaat‘ als eine durchaus moderne, in die Zukunft weisende Alternative

(Ronneberger 1989, Bd. I, S. 80).

Ronneberger erzählte, dass er nur ein einziges Mal an den Nürnberger Reichsparteitagen teilgenommen habe, wohl 1937. Er musste studentische Delegationen aus dem Ausland betreuen und zeigte sich vom Schauspiel eines „Lichtdomes“ beeindruckt.

Ronnebergers Verhältnis zum Nationalsozialismus II

Abb.: Titelblatt von: Ronneberger, Franz (1989): Erlebnisse und Betrachtungen, Band I und II (insgesamt 514 Seiten). Nürnberg: unveröffentlichtes, maschinenschriftliches Manuskript.

Seine innere Einstellung zum Nationalsozialismus basierte auf einer „nationalen Gesinnung“, die Ronneberger auch im Rückblick vielen Deutschen unterstellte: „Man kann ruhig sagen, dass es in sehr breiten Schichten des Bürgertums jeglicher Provenienz einfach zum guten Ton gehörte, nationalgesinnt zu sein.“ (Ronneberger 1989, S. 77 – Hervorhebung im Original).

Die Idee der Volksgemeinschaft, d. h. „die Überwindung der Zerrissenheit des deutschen Volkes in lauter einzelne, untereinander verfeindete und sich bekämpfende Gruppen, vor allem der Zerrissenheit zwischen der Arbeiterklasse und der bürgerlichen Gesellschaft, dem Kapital“ (Ronneberger 1989, S. 81), betrachtete er auch im Nachhinein als die am wenigsten abwegige Idee. Dagegen konnte er sich mit dem so genannten Führerprinzip nicht anfreunden: „Doch wer bestimmt die Führer, wer erkennt die Besten, wer setzt sie ein?“ (Ronneberger 1989, S. 83). Es gab einige Zweifel von Ronneberger an der nationalsozialistischen Ideologie und natürlich auch an der Politik. So hielt Ronneberger den Einmarsch in die und die Zerschlagung der Tschechoslowakei 1939 für einen „Verrat an der Idee der Volksgemeinschaft“ (Ronneberger 1989, S. 82) und der „Judenmord an Millionen [ist] so unfassbar, dass damit niemand wirklich fertig werden kann.“ (Ronneberger 1989, Bd. I, S. 92).

Was die „Schuldfrage“ anbelangt, so reflektierte er kollektive und persönliche Schuld und zog im Rückblick folgendes Resümee:

Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt als Schuldiger verstanden … Nein, auf der Suche nach einem Ansatzpunkt für meine persönliche Schuld bin ich nicht fündig geworden, Was ich von 1933 bis 1945 getan habe, lässt sich im Sinne der Meinungsfreiheit jederzeit vertreten. Nur dann, wenn man von einem Menschen verlangt, dass er bereits in seiner Jugend so gescheit ist wie im Alter, müsste ich mich vielleicht schämen. Doch ich meine, das müsste ich nur dann, wenn ich die Irrtümer nicht bereits in den 1940er Jahren zu erkennen begonnen hätte, also zwischen meinem 27. und 30. Lebensjahr. Ich habe niemals jemanden verleumdet, geschweige ihn angeschwärzt, obwohl ja mehr als genug Gelegenheiten bestanden. Ich habe niemandem wegen seiner Gesinnung geschadet und nicht einmal als Mitarbeiter abgelehnt, obwohl dies meine Pflicht gewesen wäre. Und ich habe erst recht niemanden indoktriniert. In meinem Umkreis herrschte unbeschränkte Offenheit. Das wird jeder, der in München und Wien unter mir gearbeitet hat, gern bestätigen (und so geschah es denn auch, soweit ich dies bei der ‚Entnazifizierung‘ in Anspruch nehmen musste).

(Ronneberger 1989, Bd. I, S. 91ff.)

Ronneberger wies darauf hin, dass er im Bereich seiner Südosteuropa-Forschungen und wissenschaftlichen Publikationen nach 1945 nicht umzulernen brauchte, nur „bei meinen journalistischen Arbeiten in der Westdeutschen Allgemeinen musste ich mir einen anderen Stil aneignen, der sich unter dem Einfluss des angelsächsischen Journalismus allgemein in Deutschland zu entwickeln begann (scharfe Trennung von Nachricht und Kommentar, Reduktion auf das Wesentliche und Allernotwendigste).“ (Ronneberger 1989, Bd. 1, S. 92).

 

Autor(en): G.D.G.BE.

Anmerkungen

1 Insbesondere zur Wiener Zeit siehe auch: Weber, Markus: Schritte aus dem Schatten. (Zur Geschichte des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Wiener Universität). In: http://dreip.wordpress.com/ipkw/ (Blog) (Abruf am 3. April 2012)