Teil-Fazit
Public Relations als Kommunikationsform, die erst auf einer bestimmten Entwicklungsstufe industrieller bzw. kapitalistischer Gesellschaft notwendig wird
David Riesman u.a. (1958) und Paul A. Baran (1966) entwickeln beide ein Modell von Entwicklungsphasen industrieller (Riesman u.a.) bzw. kapitalistischer (Baran) Entwicklung.
Riesman u.a. modellieren die Gesellschaftsentwicklung als historisch-soziale Abfolge von traditionsgeleiteten, innen-geleiteten und außen-geleiteten Verhältnissen, die sich zugleich als politische Verhaltensstile (Riesman u.a. 1958, S. 175ff.) und menschliche Charaktere wiederfinden. Die zeitgenössische Gegenwart der USA sei durch die „Außen-Leitung“ gekennzeichnet.
Baran unterscheidet zwischen einer vormonopolistischen, auf Marktwettbewerb beruhenden und einer monopolistischen Phase (mit hohem Staatseinfluss) des Kapitalismus (u.a. Baran 1966, S. 17). Die USA befänden sich in letzterem Stadium. Diese Unterscheidung ähnelt durchaus dem Wandel von der Innen-Lenkung zur Außen-Lenkung bei Riesman u.a. Beide arbeiten teilweise ähnliche Merkmale und kommunikative Herausforderungen des Phasen-Wechsels heraus. Allerdings sind die wissenschaftlichen Grundpositionen andere: Riesman zielt zwar auch auf ein Zukunfts-Ideal, argumentiert aber systemimmanent; Baran hingegen ist Marxist.
„Massenkommunikation“ wird von Riesman u.a. vergleichsweise umfangreich thematisiert. Zu Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit äußern sie sich explizit nicht zentral. Allerdings wird in den eher nebensächlichen expliziten und vor allem auch impliziten Aussagen dazu deutlich, dass Public Relations als typische Erscheinung der außen-geleiteten Gesellschaftsphase verstanden werden können. Baran thematisiert nicht „Public Relations“ – wenn überhaupt Kommunikation, dann ideologische Bearbeitung, Massenbeeinflussung bzw. „Propaganda“ für die monopolkapitalistische Ordnung.
Ausgewählte Merkmale der neuen Phase, die eine andere Qualität von Kommunikation beschreiben
Unter den Verhältnissen von Riesmans Außen-Leitung sei das „Individuum“ zur „Anpassung (…) versucht“ bzw. „gezwungen“ oder „wenn diese misslingt, zur Anomalie getrieben“ (Riesman u.a., S. 320). Wurde die innen-geleitete Welt vor allem durch „Bargeld“ oder „Moralität“ geregelt, so spielt in der außen-geleiteten Welt „good will“ eine zentrale Rolle (S. 222). Riesman u.a. lassen sich so interpretieren, dass PR als eine Äußerungsweise von Organisationen bzw. Unternehmen verstanden werden können, die nicht den Inhalt der Information, nicht ihren Gegenstandsaspekt, sondern die Form, die Aufmachung, also den Gestaltungsaspekt, bzw. den Stil, ihren Beziehungsaspekt, in den Mittelpunkt rückt. Es geht also um kommunikative, nicht fachlich-inhaltliche Qualitäten. Sie dienen primär dazu, den PR-Treibenden als aufrichtig und überzeugend bzw. als attraktiv-glamourös erscheinen zu lassen (u.a. S. 147, 222). Ein solches Management von Darstellung und Beziehungen war unter innen-geleiteten Verhältnissen noch nicht erforderlich, so unsere Schlussfolgerung.
War die vorherige Phase bei Riesman u.a. (Innen-Leitung) durch feste Überzeugungen und „Moralität“ gekennzeichnet, so waren es bei Baran (vormonopolistischer Kapitalismus) „Ideologie“ und ihre Auseinandersetzung mit anderen Ideologien. Die neue Phase (bei Riesman u.a. = Außen-Leitung; bei Baran = Monopolkapitalismus) bringe die massenhafte „Anpassung“ der gesamten Gesellschaft mit sich – da besteht weitgehende Übereinstimmung zwischen den Autoren. Auch konstatieren beide einen deutlich höheren Grad an bewusster Steuerung und Gestaltung von Kommunikation (z.B. Baran 1966, S. 220).
Public Relations als eine konkret-historische Antwort auf die Systemkrise bzw. neuen gesellschaftlichen Bedingungen in den 1920er-/30er-Jahren
Baran stellt den Phasen-Wechsel (siehe oben) in einen deutlichen Zusammenhang mit Weltwirtschaftskrise und ihrer Bewältigungsversuche mittels „Keynes‘scher Revolution“ und „New Deal“-Politik in den USA (u.a. Baran 1966, S. 178). Bei Riesman u.a. gerät der Bezug des Phasen-Wechsels (siehe oben) zu dieser konkreten gesellschaftshistorischen Situation weniger grundsätzlich, allerdings wird auch dort das „Neue“ von New Deal und der Roosevelt-Präsidentschaft thematisiert (z.B. Riesmann u.a. 1958, S. 225).
Diese Konstellation in den USA wurde von anderen, gerade auch deutschen namhaften PR-Fachautoren – z.B. Carl Hundhausen 1937/38 – als wesentliche Ursache für das seitdem starke amerikanische Interesse an Public Relations empfunden. Baran liefert zudem eine explizite Antwort, warum dieses Interesse auch und gerade von Fachleuten im nationalsozialistischen Deutschland aufmerksam beobachtet wurde. Vor allem im sich auf den Krieg vorbereitenden Deutschland seien Lehren von Keynes umgesetzt worden (Baran 1966, S. 62).
Solche Parallelen zwischen den USA des New Deals und Hitler-Deutschland hat beispielsweise auch Day (2004) in seiner modernisierungstheoretisch und massenkulturell basierten Dissertation über (Kommunikation und PR für den) Automobilrennsport in der NS-Zeit herausgearbeitet.
In einem zweiten Teil unserer Abhandlung stellen wir die Auffassungen weiterer Autoren vor, und zwar: John Kenneth Galbraith (1968), Paul Sweezy (1970), Fred Hirsch (1980), Charles Lindblom (1980).