Demokratie als Treiber und Diktatur als Bremser, aber nicht Verhinderer von Öffentlichkeitsarbeit

Gesellschaftliche Integration auf amerikanische und deutsche Art

Abb.: Carl Hundhausen, Hauptautor in der deutschen „PR“-Debatte der 1930er-/frühen 1940er-Jahre, prägte auch nach 1945 die PR-Geschichte der frühen Bundesrepublik mit. Das Foto zeigt ihn in der Mitte zwischen Franz Ronneberger (links) und Albert Oeckl (rechts) im Jahre 1976, bei einer Tagung der Deutschen Public Relations Gesellschaft in Frankfurt/Main, Hotel Intercontinental. Quelle: Privat-Archiv Prof. Dr. Manfred Rühl, Nürnberg.

Wie wir weiter vorn dargestellt haben, kam der PR-Begriff zwar in Fachaufsätzen der NS-Zeit vor – etablieren konnte und durfte er sich aber nicht. Unerwünscht musste – wie Hundhausen 1947 rückblickend schrieb – der PR-Begriff unter der NS-Diktatur in der Tat gewesen sein, denn er bezeichnete – im Kontext der Hundhausen-Artikel von 1937/38 – primär eine pluralistische und teilöffentlichkeitsbezogene Kommunikationskultur von Unternehmen und Organisationen der USA, die stark der in der Weimarer Republik ähnelte.

Da das NS-Regime behauptete, die Überwindung kommunikativer Vielstimmigkeit und Zersplitterung sei gerade ein Vorteil für die „Volksgemeinschaft“1, konnte ihm auch am PR-Begriff (und seinem zugrunde liegenden amerikanischem Verständnis) nicht gelegen sein. Die Nationalsozialisten brauchten unbedingte Vorfahrt und Dominanz für ihre monistisch-totalitäre Propaganda. Ihr Propagandamonopol, ihr beanspruchtes Vorrecht auf Persuasion im großen Stil durfte nicht durch mannigfaltige Persuasionsanstrengungen vieler differenzierter Akteure in Wirtschaft, Gesellschaft etc. ernsthaft beeinträchtigt oder gefährdet werden.

Dennoch bleibt die Frage: Wie können Konflikte und Vertrauensprobleme in einer Gesellschaft gelöst werden? Die „neue“ amerikanische Antwort darauf lautete nach Hundhausen: mit Public Relations. Denn eine autoritäre Lösung – hier dachte Hundhausen wohl an seine seit 1933 diktatorisch geführte Heimat Deutsches Reich – sei auf Grund des Einflusses der öffentlichen Meinung – hier konnten nur die demokratischen USA gemeint sein – nicht möglich.

Aus diesem Dilemma sucht nun (in den USA – T.L.) jede Gruppe ihren eigenen Weg, jede Gruppe versucht eigene Mittel anzuwenden. Soweit aber Banken, Industrieunternehmungen und Eisenbahnen in Frage kommen, versuchen sie, die bisher Millionen und aber Millionen für Werbung (advertising) ausgegeben haben, ein neues Mittel: Public Relations Policy.

(Hundhausen 1938, S. 50)

Demokratie als förderliche, aber nicht notwendige Bedingung für Öffentlichkeitsarbeit

Der Umkehrschluss dieser Argumentation bedeutete – und dies lässt sich als vierte Schlussfolgerung aus der Fachdebatte der NS-Zeit ziehen: Eine auf Öffentlichkeit beruhende Demokratie (wie in den USA) kommt ohne Public Relations nicht (mehr) aus, das autoritäre Herrschaftssystem in Deutschland sei gewissermaßen eine Alternative dazu und brauche (die „neue“) PR nicht oder weniger – da ließ Hundhausen einiges in der Schwebe. Wohlgemerkt unter der von ihm betonten Voraussetzung, dass deutsche Unternehmen ja schon immer (klassische) Pressearbeit und Wirtschaftskommunikation leisteten.

Die Argumentationslinie, dass vor allem eine auf Wettbewerb beruhende Demokratie Öffentlichkeitsarbeit ermögliche und benötige, sie aber auch in nichtdemokratischen Systemen vorkomme, ist nicht weit von der, die heute wie folgt formuliert werden kann:

Nicht die Gesellschaftsform als solche (…) und deren Freiheiten und Regeln für gesellschaftliche Subsysteme (…) (sind) als grundlegendes Kriterium für ein Auftreten von Öffentlichkeitsarbeit (…) anzuführen, sondern das Vorhandensein kommunikativen Gestaltungsbedarfs und kommunikativer Gestaltungsspielräume, deren Umfang in einer Staatsform wie der Demokratie zwar am weitreichendsten sein dürfte, deren Auftreten aber nicht per se auf diese Gesellschaftsform beschränkt ist; möglicherweise offenbaren auch totalitäre Gesellschaftsformen (…) – in einem anderen Umfang und unter anderen Rahmenbedingungen – vergleichbare kommunikative Handlungsräume (…).

(Peter Szyszka in Szyszka 1997, S. 133)

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Zeitungswissenschaft 1937/4, S. 253, und 1938/5, S. 336. Zit. bei Liebert 2003, S. 105.