Weimarer Republik und NS-Diktatur

Neue Gründungswelle in der Weimarer Republik durch Großbetriebe

Nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg schlossen sich ab 1919 auch verstärkt die Großbetriebe dem Trend zu betrieblichen Medien an und gaben eigene Fabrikzeitschriften heraus, was zu einer neuen Gründungswelle führt. Bosch startete 1919 den Bosch-Zünder, Daimler die Daimler Werksnachrichten, die BASF gab die Werkzeitung und der Siemenskonzern die Wirtschaftlichen Mitteilungen heraus. Bei AEG wurde ab 1927 die Mitarbeiterzeitschrift Spannung veröffentlicht.1

Erschienen die ersten deutschen Fabrikzeitschriften noch im Zeichen der patriarchalischen Belehrung und monarchistischen Erziehung, so änderte sich dies mit dem Einzug fortschrittlicher betriebswirtschaftlicher und/oder soziologischer Prinzipien in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Förderlich war auch der Einzug der Demokratie als Staatsform in Deutschland 1919.

Abb.: WM, Nr. 1, 1919.

Abb.: WM, Nr. 11, 1920.

Abb.: WM, Nr. 26, 1921.

Abb.: WM, Nr. 43, 1922.

Quelle der Abb.: Siemens Corporate Archives. Die Urheberrechte liegen bei der Siemens AG, München/Berlin, die Abb. dürfen kostenfrei für redaktionelle und wissenschaftliche Zwecke verwendet werden. Mit freundlicher Zustimmung der Siemens AG laut E-Mail vom 10. Januar 2006 an I.S.-L.

Professionalisierung

Für die Daimler Werksnachrichten 1919 hatte der Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy den Anstoß geliefert: Nach der Verrohung durch den Krieg wollte er die „geistige Sanierung“ des Daimler-Werkes über eine „gemeinsame Werksprache“ – also die Vorwegnahme des Corporate-Identity-Konzeptes – mittels einer neuartigen Werkzeitschrift erreichen. Sie maßte sich nicht an, die „soziale Frage“ zu lösen, aber Verständigung anzubahnen. Interne Kommunikation sollte den Mitarbeiter aus seiner Rolle in einer hierarchischen Arbeitsgemeinschaft lösen und als Mensch, der das Maß aller Dinge sei, betrachten. Das konzeptionelle Experiment endete allerdings in den nachrevolutionären Wirren von 1920.2

Bereits vor 1914 hatte es aus Wissenschaft und Praxis Aufrufe zur professionelleren Gestaltung und zu einem Paradigmenwechsel bei der Herausgabe von Werkzeitschriften gegeben. Ins Zentrum der Berichterstattung sollten Jahresberichte, Versammlungsprotokolle, Berichte über Sozialleistungen und Bekanntmachungen der Arbeiterausschüsse rücken. Nun lösten Fachleute aus Sozial- oder Personalabteilungen bzw. aus dem so genannten Literarischen Büro des Unternehmens, aber auch externe Autoren, die Betriebsdirektion in den redaktionellen Tätigkeiten zunehmend ab. Die Fabrikzeitschrift wurde damit immer mehr zum Mittel der modernen Unternehmensführung.3

Kritik und Institutionalisierung

Allerdings finden auch die im Vergleich zum Kaiserreich deutlich moderneren und dialogischeren Werkzeitschriften der Weimarer Zeit ihre Kritiker. Der gewerkschaftsnahe Autor Horné (1959, S. 738) schreibt über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg:

Die Wirtschaft war geschwächt, die Gewerkschaften hatten sich zu mächtigen Organisationen entwickelt, und vielen Unternehmern schien die W(erk)Z(eitschrift) ein geeigneter Weg, die Arbeiter zu beruhigen, den sozialen Frieden zu erhalten und obendrein auf diese Weise etwas Propaganda zu machen, da sie auch damals – wie immer in Nachkriegsjahren – bemüht waren, soziale Fleißkärtchen zu sammeln. Für einige war es freilich mehr als ein Trick und mehr als geplante Taktik. Aber die allgemeine Tendenz war auf Beruhigungsmittel angelegt: Wenn die Arbeiter sich als Mitglieder einer Betriebsfamilie fühlten, waren sie für sozialistische Programme und gewerkschaftliche Forderungen gewiss weniger anfällig.

(Horné 1959, S. 738)

Abb.: SM, Nr. 48, 1923.

Abb.: SM, Nr. 103, 1928.

Abb.: SM, Nr. 158, 1935.

Quelle der Abb.: Siemens Corporate Archives.

Bis 1933 zählte man in Deutschland ca. 120-180 verschiedene Titel, was auf eine schnelle Verbreitung des Mediums hindeutet.4 Der Förderung von Werkzeitschriften wie auch anderen „betrieblichen Schulungs- und Kulturaufgaben“ widmete sich eine spezielle überbetriebliche Institution, das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA). „1930 waren dem DINTA 75 W(erk)Z(eitschriften) mit einer Gesamtauflage von einer halben Million angeschlossen, darunter als größte die Zeitung der Gutehoffnungshütte (23.000), die Zechenzeitung für die Gruppe Hamborn der Vereinigten Stahlwerke (22.300), Hütte und Schacht, die WZ der Eisen- und Stahlwerke Hoesch (17.000), die Hüttenzeitung der Dortmunder Union (15.000) und die Zechenzeitung der Gruppe Bochum der Vereinigten Stahlwerke (14.200).“ (Horné 1959, S. 738)5

Im Zeichen von NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg

Im Jahre 1933 wuchs plötzlich die Anzahl der deutschen Werkzeitschriften und erreichte ein Niveau von ca. 200 Titeln. Diese Steigerung kann auf die pressepolitischen Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes zurückgeführt werden, das sich der Werkzeitschriften als Propagandamittel bedienen wollte.6 Das Betriebspressewesen wurde der Deutschen Arbeitsfront (DAF) übertragen und oblag bindenden Richtlinien. So wurden zum Beispiel Werbung für andere Betriebe und Fremdprodukte, Unterhaltungs- und tagespolitische Teile sowie die Weitergabe an Kunden verboten. 1935 verpflichtete die DAF Großbetriebe mit über 500 Mitarbeitern zur Herausgabe von eigenen Titeln. Die Vorgabe wurde zwar nicht von allen Unternehmen umgesetzt, 1937 wurden aber immerhin 386 Titel mit der Auflage von fast 3 Millionen Exemplaren herausgegeben.7 Eine immer größere Rolle spielte Bildmaterial.8

Während des Krieges kam es zu einer weiteren Intensivierung der verlegerischen Tätigkeit der Betriebe mit ca. 800 Titeln9 – bis wirtschaftliche Not und Sparmaßnahmen es schließlich unmöglich machten, Werkzeitschriften zu drucken.

Autor(en): I.S.-L.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. auch Kunczik 1997, S. 236, 240, 245f. Zipfel berichtet allerdings, dass die AEG-Mitarbeiterzeitschrift Spannung auch an Kunden weitergegeben wurde (Zipfel 1997, S. 157).

2 Sträßner 2010. Der Autor reklamiert allerdings für die Daimler Nachrichten den Ruhm der „ersten Werkszeitung Deutschlands“.

3 Vgl. Michel, u. a. S. 6, 32ff.

4 Lerg 1957, S. 348.

5 Hervorheb. – T. L. Horné bezieht sich hier auf: Lüddecke, Theodor: Nationalsozialistische Menschenführung in den Betrieben. Die Werkzeitung als Mittel der Wirtschaftsführung. Hamburg, 1934.

6 Vgl. Kerlikowsky 1969, S. 558.

7 Lerg 1957, S. 349.

8 Vgl. Michel 1969, S. 12. In der NS-Zeit entstanden auch einige Abhandlungen über die Betriebspresse, z. B.: Geck, Adolf: Aus den Anfängen des deutschen Werkzeitungswesens, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 150. Jena, 1939; Berthold, Werner: Die Werkzeitschrift als Organ der Betriebsgemeinschaft. Berlin, 1936.

9 Kerlikowsky 1969, S. 558.