Löckenhoff 1958 (III)

Löckenhoff 1958 über Propaganda

Verhältnis von PR und Propaganda – der wissenschaftliche Propaganda-Begriff 1958

Das Verhältnis der „öffentlichen Meinungs- und Beziehungspflege“ – also der Public Relations – „zur Propaganda“ lasse sich nur schwer klären, schätzt Löckenhoff (1958, S. 81) ein. „Erstens wird der Begriff ‚Propaganda‘ nicht einheitlich eingesetzt. Zweitens können Public Relations zwar propagandistische Formen annehmen, ohne dass sie jedoch ursprünglich und wesensmäßig Propaganda sein müssten.“ (S. 81 – Herv. im Orig.)

Noch 1958 konstatiert Löckenhoff zum Propaganda-Begriff, dass dieser „im wissenschaftlichen Sinne und sozialethisch wertfrei“ mit zwei Merkmalen umschrieben werden könne:

a) „Merkmal systematischer Beeinflussung“, also als „planmäßige(r) und geordnete(r) Einsatz der Führungsmittel“ (nach Baschwitz);

b) „zusätzlich das Merkmal des Erobernwollens“ (nach Dovifat1).

a) treffe nach Löckenhoff (1958, S. 81) auch auf Public Relations zu, nicht aber b). PR sei „Werbung um Verständnis und Vertrauen“, nicht aber – zumindest nicht „wesensmäßig“ – „Polemik in Gesinnung und Ausdrucksform, die im Willen zur Eroberung angelegt ist“ (S. 81). Verfolgten einzelne PR-Aktionen jedoch einen „Machtanspruch“ und trügen sie „kämpferische Züge“, so müssten sie „dann folgerichtig als Propaganda gekennzeichnet werden“ (S. 82).

Negativ-Begriff von Propaganda und unredliche PR-Formen

Allerdings erkennt Löckenhoff (1958, S. 82) auch einen Begriffsgebrauch von Propaganda, der eindeutig negativ konnotiert ist, von dem er sich aber distanziert:

Er wird herabgesetzt (propaganda is a long word fort he short word lie) und meint dann Agitation, die ‚rücksichtslos kämpfende und überwältigende Form der Propaganda (…)‘, die, oft niederziehende und zerstörende Gesinnungen ins Positiv-Idealistische wendend, mit den Mitteln der nicht ehrlich überzeugenden, sondern überwältigenden Meinungsmanipulation arbeitet. Public Relations haben mit solcher Propaganda nichts gemein.

(Löckenhoff 1958, S, 82)

Unredliche Formen von PR kämen auch dann vor, wenn anstelle „echter (PR-) Gesinnungen“ reine Nützlichkeitserwägungen träten, wenn solche „farblosen oder ‚gesinnungslosen‘ Gesinnungen“ die Kommunikationsarbeit „zu einer bloßen Publizität herabsinken“ ließen (S. 118). Grenzüberschreitungen seien auch dann zu bemerken, wenn „geistig-seelische2 Einflussnahme in einen geistig-seelischen Zwang“ übergehe, wenn – wie häufig in der Wirtschaftswerbung – die „Wahrheit und Eindringlichkeit des werbenden Gedankens“ bzw. „rationale Überlegungen“ durch „psychologische Mechanismen“ bzw. „Illusionen“ ersetzt würden (S. 126).

Löckenhoff 1958 zu Unterschieden zwischen USA und (West-) Deutschland

In Deutschland mehr soziale Statik, mehr Propaganda und weniger PR

In Deutschland (gemeint ist die westdeutsche Bundesrepublik) gleite Public-Relations-Arbeit – deutlich häufiger als in den USA – in Propaganda ab, was zunächst mit der geistig-politischen Situation nach 1945 erklärt wird (S. 140):

Public Relations (in den USA – T.L.) stehen der rein wirtschaftlichen Werbung um die Gunst des Verbrauchers näher als einer im ideologisch-politischen Sinne erobernden Propaganda. Demgegenüber scheint in Deutschland die öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege der Industrie neben der auch hier in Erscheinung tretenden Werbung um die Zustimmung des Konsumenten in stärkerem Maße auch ideologisch fundierte wirtschaftspolitische Propaganda gegen sozialistische Bestrebungen zu sein. Die Schlagworte von der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ und der ‚Mitbestimmung‘ zeigen deutlich die hinter der Meinungspflege stehenden, ideologisch verfestigten Gegensätze liberalen bzw. sozialistischen Ideenguts an. Die öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege gewinnt so gegenüber den Gewerkschaften tendenziell den Charakter einer Propaganda für ein freies Wirtschaftssystem und gegen die These einer ‚gelenkten Wirtschaft‘ sowie die damit noch immer verbundenen Vorstellungen von einer Verstaatlichung der ‚Produktionsmittel‘ und das vorgelagerte Ziel einer weitgehenden Mitbestimmung über den einzelnen Industriebetrieb.

(Löckenhoff 1958, S. 140)

Weitere Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und den USA werden in unterschiedlichen Traditionen diesseits und jenseits des Atlantiks gesehen:

Weiterhin weist die größere, traditionell bedingte Stabilität des deutschen Sozialsystems der öffentlichen Meinungs- und Beziehungspflege einen engeren Wirkungsbereich zu. Geht es in Amerika darum, mit Hilfe der Public Relations die soziale Ordnung überhaupt im Bewusstsein des einzelnen fest zu verankern, das Sozialgefüge als Ganzes zu integrieren, so beschränkt sich das Feld der Beziehungspflege in Deutschland vor allem auf den wirtschaftlichen Sektor im engeren Sinne. Beziehungspflege wirkt hier eingeschränkt auf den Ausgleich des industriellen Konfliktes hin und auf die Beseitigung der peripheren Störungen, die vom wirtschaftlich-technologischen Veränderungen auf das soziale Leben ausstrahlen.

(Löckenhoff 1958, S. 140)

In den USA innerhalb der PR Übergang von sozialen Grundsatz- zu Einzelfragen

Abb.: Herbert Gross 1957 (Quelle Handelsblatt). Recherchiert von J.P.

Allerdings hätte sich auch in den USA im Zeitablauf eine Verschiebung der Schwerpunkte innerhalb der Public Relations ergeben, wie Löckenhoff einen anderen wichtigen zeitgenössischen deutschen Fachautor über PR, Herbert Gross, sagen lässt. Gross habe „unter der Überschrift: ‚Neues Interesse für Public Relations in den USA‘ (Handelsblatt, 16/VII, 58), das eben nicht nur als „vorübergehende Folge der ‚recession‘“ zu verstehen ist, Folgendes diagnostiziert:

Danach stehen im Gegensatz zu den 40er Jahren, in denen es um die grundsätzliche Zustimmung zu Marktwirtschaft und Unternehmertum ging, heute Einzelfragen im Mittelpunkt, so die Diskussion  um die Notwendigkeit des Großbetriebes und seine sozialen Auswirkungen, etwa auf die Kleinbetriebe und die Verteilung der wirtschaftlichen Macht. (…) fortschreitende(n) Automatisierung und (…) Groß- und Mammuteinheiten (…), deren Für und Wider in hohem Maße direkt und indirekt in der Presse (…) erörtert wird. Angesichts der Tatsache, dass diese Probleme gerade die Unternehmensführung und -leitung betreffen, ist auch der zweite Hinweis von Gross nicht erstaunlich, dass nämlich Public Relations immer mehr zu einer Aufgabe der Betriebsleitung werden (…).

(Löckenhoff 1958, S. 142)

Dass Löckenhoff ganz stark die Unternehmensleitung in der Verantwortung für PR sieht, thematisiert auch Tebrake (2019, S. 149).

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Dovifat definiert Propaganda wie folgt, hier in Löckenhoff 1958 (S. 81) zitiert: „Im öffentlichen Leben tritt sie (die Werbung – A. d. V.) uns als Propaganda entgegen, dann ist sie planmäßig geordneter Einsatz persönlicher, geistiger und technischer Führungsmittel zur Eroberung der breitesten Öffentlichkeit durch ein publizistisches Ziel.“

2 Im hinteren Teil seiner Dissertation schreibt Löckenhoff geistig-seelisch – wie heute üblich – mit Bindestrich.