Realgeschichte von PR mit eigenen Medien: Beispiel (internes) Corporate Publishing I
Ausgangssituation zu Beginn der NS-Herrschaft
Hier: Konzentration auf Werkzeitschriften
Wichtige Sekundärquellen zur Geschichte der Mitarbeiterzeitschriften in der NS-Zeit sind Michel 1997, der auch mehrere Fallbeispiele aufarbeitet, und Lange 2010. Wir folgen in unserer Abhandlung weitgehend Letzterem.
Organe für die Mitarbeiter hießen – wie bereits erwähnt – seinerzeit „Werkzeitschriften“. Sie wandten sich „primär“ an „Arbeiter und Angestellte“, wurden aber „ebenso von ehemaligen Beschäftigten, Familienmitgliedern und Bekannten gelesen“ (Lange 2010, S. 67). Es war aber wohl gängige Praxis – mindestens weiß man es von der Bosch-Zeitschrift –, dass Exemplare auch an „andere Unternehmungen zum Austausch gegen Werkzeitungen, Handelskammern, Fachzeitschriften, wissenschaftliche Institute, sowie auch an Verbandsführer“ versandt wurden (Lüddecke 1934, S. 38, Fußnote 1. Zit. nach Lange 2010, S. 67). Diese Ausweitung des Adressatenkreises interner Werkzeitschriften auf externe Stakeholder „verbot man“ schließlich im September 1936 (Lange 2010, S. 67, unter Bezugnahme auf Berthold 1937, S. 15.).
Titelzahlen
Wie ist der quantitative Ausgangszustand vor bzw. zu Beginn der NS-Herrschaft? Bis 1933 zählte man in Deutschland ca. 120-180 verschiedene Titel.1 Bereits Ende der 1920er-Jahre ließen sich die Werkzeitschriften, von denen es seinerzeit (wohl mindestens) – nach Lange – rund 1502 gab, in eigenständige und zentral redigierte unterscheiden.
Eigenständige Werkzeitschriften
Die eigenständigen Zeitschriften wurden „zumeist monatlich in einem Umfang von etwa 15 Seiten ausgegeben“ (Lange 2010, S. 67). Ihre Zahl sank krisenbedingt auf ca. 100 (1931), um danach wieder anzusteigen: Im Jahr der NS-Machtergreifung (1933) zählte man 125.
Die so genannten „Dinta“-Blätter
Die gemeinsam redigierten Organe, die so genannten Dinta-Blätter, hatten zunächst ebenfalls unter der Weltwirtschaftskrise zu leiden. Sie konnten sich dann aber wieder – auch politisch gefördert – von 68 (1932) auf 100 (1934) steigern. Letztere waren als Gemeinschaftszeitungen mehrerer Unternehmen konzipiert. Sie „erschienen in der Regel 14-täglich und hatten einen Umfang von rund acht Seiten“. Auflagenseitig wuchsen sie von 300.000 Exemplaren (monatliche Gesamtauflage 1930) auf 1.000.000 (1934). (Lange 2010, S. 67, unter Bezugnahme u.a. auf Lüddecke 1934, S. 185, und Michel 1997, S. 120, Fußnote 39).
Dinta oder DINTA3 bedeutet: Deutsches Institut für Technische Arbeitsschulung. Diese bereits 1925 gegründete überbetriebliche Einrichtung vertrat Arbeitgeberinteressen und eine völkisch-nationale Ideologie.
Organisatorische und zahlenmäßige Entwicklung von Werkzeitschriften während der NS-Diktatur
Von der Dinta zur DAF
Im Mai 1933 wurde die Dinta (siehe oben) in die Deutsche Arbeitsfront (DAF), den nationalsozialistischen Zwangseinheitsverband für Arbeitnehmer und -geber und formaler Nachfolger der zerschlagenen freien Gewerkschaften, integriert.
Insofern verwundert es nicht, wenn ein gewerkschaftsnaher Autor rückblickend – deftig – formulierte:
Die Nazis freuten sich über das (durch die DINTA – T.L.) gemachte Nest und legten durch die ‚Deutsche Arbeitsfront‘ ihre eigenen DAF-Eier dazu: Die W(erk)Z(eitungen) feierten den Kult von ‚Betriebsführer“ und ‚Gefolgschaft‘ (die Werkschriftleiter waren ‚Schriftwalter‘), hofierten die ‚nationalsozialistischen Musterbetriebe‘ und fügten dem ohnehin übelriechenden DINTA-Strauß eine ganze Anzahl weiterer W(erk)Z(eitungs)-Blüten hinzu. Einige wenige WZ stellten aus Protest gegen die Gleichschaltung freiwillig, alle anderen notgedrungen im Verlauf und vor allem gegen Ende des Krieges ihr Erscheinen ein.
(Horné 1959, S. 738)
Mögen im Zitat die Charakterisierungen von DINTA und DAF auch stimmen, die Entwicklung der Werkzeitschriften in der NS-Zeit ist damit – wendet man sich vielmehr Lange zu – zu einseitig und vorschnell als Niedergangsprozess gezeichnet.
Zahlenmäßiger Anstieg
Die Zahl der eigenständigen Firmenpublikationen stieg vielmehr auf 322 (1936) bzw. „bis 1939 auf 500 und erhöhte sich bis 1944 abermals um 170 – mit einer Gesamtauflage von zuletzt vier Millionen Exemplaren“ (Lange 2010, S. 68, unter Berufung auf Klein 1939, S. 24; Dörr 1941, S. 86, sowie Michel 1997, S. 112 und 288). Auch die Zahl der vormals Dinta-, dann DAF-Blätter ist vermutlich gestiegen, allerdings misslang – nach Lange – die von der Dinta beabsichtigte Vereinnahmung aller Werkzeitschriften:
Erstaunlicherweise gelang es dem Dinta-Leiter Karl Arnhold bei einer von Robert Ley (= Leiter der DAF) einberufenen Besprechung mit Redakteuren selbstständiger Werkzeitschriften im September 1933 nicht, Einfluss auf alle Unternehmensblätter zu erhalten, so dass letztere ihre Eigenständigkeit behielten
(Lange 2010, S. 67, unter Bezugnahme auf Lüddecke 1934, S. 186-188. Vgl. auch Michel 1997, S. 277).
Vermutlich lag dies aber nicht an grundsätzlicher medienpolitischer Ablehnung, sondern weil der Stern der Dinta als eigenständige Organisation im Zuge der DAF-Integration im Sinken war.4 Von der DAF ist beispielsweise bekannt, dass sie 1935 Großbetriebe mit über 500 Mitarbeitern zur Herausgabe von eigenen Titeln verpflichtet habe. Die Vorgabe sei zwar nicht von allen Unternehmen umgesetzt worden, 1937 wurden aber immerhin 386 Titel mit der Auflage von fast 3 Millionen Exemplaren herausgegeben.5 Ob möglicherweise die ehemaligen, zentral redigierten Dinta-Blätter bzw. nun unter Kontrolle der DAF stehenden Organe formal als selbstständige Werkzeitschriften geführt und also nicht extra gezählt wurden, kann hier nicht definitiv beantwortet werden. Vermutlich war es aber so, denn laut Sösemann (2011 Bd. 2, S. 1396) habe die DAF „Ende 1937 (…) sämtliche Werkzeitungen“ übernommen.
Teil-Fazit
Unabhängig von der konkreten Zählung lässt sich aber feststellen:
Berücksichtigt man (…) die verschärfte Papierkontingentierung sowie zahlreiche Einstellungsmaßnahmen von Presseerzeugnissen nach Kriegsbeginn, ist die Titelzunahme seit 1939 äußerst bemerkenswert. Wie bereits im Ersten Weltkrieg erfüllten die an Soldaten versandten Blätter jedoch eine wichtige propagandistische Funktion, indem sie eine ‚geistige Brücke‘ zwischen Heimat und Front schlugen. Die skizzierte Entwicklung lässt sich daher nicht nur auf Unternehmerinitiativen zurückführen, sondern ist ebenso das Ergebnis einer massiven Förderung durch die DAF und das RMVP (= Reichspropagandaministerium) seit 1933.
(Lange 2010, S. 68f.)
Diese „massive Förderung“ durch DAF und Ministerium darf aber nicht mit ebenso großer „Einflussnahme“ gleichgesetzt werden. Beispielsweise „widersetzten sich einige Redaktionen bis Kriegsbeginn (…) dem seit 1936 obligatorisch gewordenen Hinweis auf die einvernehmliche Herausgabe mit dem Presseamt der DAF“, „ohne dass nennenswerte Konsequenzen folgten“ (Lange 2010, S. 73f.).
Anmerkungen
2 Die Nichtübereinstimmung dieser Summen-Zahl mit den nachfolgenden Teilmengen lässt sich hier leider nicht auflösen. Vermutlich liegt es an unterschiedlichen Erhebungsjahren oder Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen (internen) Werkzeitschriften und (externen) Haus- bzw. Kundenzeitschriften. Vgl. dazu auch Lange 2010, S. 68, Fußnote 310.
3 Lange 2010 schreibt die Abkürzung klein, Horné 1959 groß.
4 „Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten versuchte das DINTA, seinen Einfluss zu bewahren. Das Institut wurde unter Beibehaltung seines Kürzels in Deutsches Institut für nationalsozialistische technische Arbeitsschulung umbenannt. Es bot dem Reichsarbeitsministerium eine Zusammenarbeit an; jedoch war es aus Sicht des Regimes verdächtig, weiterhin die Interessen der Unternehmerschaft vertreten zu wollen. Außerdem traten nun als Konkurrenten die Deutsche Arbeitsfront und ihr Amt Schönheit der Arbeit auf.“ (Wikipedia: DINTA, dort unter Berufung auf Frese, Matthias: Betriebspolitik im „Dritten Reich“. Paderborn 1991. S. 15f.)