PR zwischen werblicher und journalistischer Orientierung

Tendenz zur Verselbstständigung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gegenüber der Werbung

In der Zeit der Weimarer Republik ist erkennbar, dass sich Öffentlichkeitsarbeit/PR quantitativ vermehrt, weiter professionalisiert sowie differenziert und damit seinen Charakter als spezifischen Bereich öffentlicher Kommunikation deutlicher ausprägt. Eine sehr weitgehende oder gar völlige Emanzipation von Werbung bzw. – wie man heute sagen würde – Marketing erfolgte aber historisch gesehen noch nicht. Aber die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verschob ihren Orientierungspunkt weg von der Werbenähe und hin zur journalistischen Logik.

Abb.: Berliner Gedenktafel für Emil Dovifat an seinem ehemaligen Wohnhaus Charlottenburger Straße 2 im Stadtteil Zehlendorf (29.11.2008). Foto: OTFW Berlin. Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 (Attribution-ShareAlike 3.0 Unported) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

Die damaligen Fach-Akteure und -beobachter verfolgten dabei aufmerksam die Entwicklung in den USA und die dortige Verselbstständigung von Öffentlichkeitsarbeit/PR gegenüber der Werbung. Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat schrieb 1927 von fast ca. 2.400 „Preßagenten“ allein in New York. Bei einer mittleren Zeitung Washingtons erreiche das zugesandte Pressematerial „täglich den Umfang von 190.000 Worten, d. h. 24 Zeitungsseiten Text.“ (S. 210). Dovifat diagnostizierte rückblickend eine Professionalisierung der Pressearbeit und ihre Ablösung von „Koppelgeschäften“ mit Anzeigen in den USA bzw. zeitversetzt auch in Deutschland – ohne allerdings Reklame bzw. Werbung als Oberbegriff aufzugeben:

In den letzten 20 Jahren (also seit 1907 – T. L.) hat sich (…) in Amerika eine (…) Form von Reklame herausgebildet, die den redaktionellen Teil sehr weit gehend für sich in Anspruch nimmt, ohne auf dem Wege über den Inseratenteil einen Druck auszuüben, ja ohne überhaupt ein Inserat aufzugeben. Es handelt sich um die große und glänzend bezahlte Kunst ‚to get free newspaper space’, freien Raum im redaktionellen Teil zu erhalten und damit gleichzeitig die Möglichkeit zu haben, einer oft ganz privaten Angelegenheit den Stempel des öffentlichen Interesses aufzudrücken. (…) Heute macht sich der ‚Press agent’, der ‚publicity man’ zum bezahlten Träger dieser Bestrebungen. In Deutschland ist er im letzten Jahrzehnt (also nach dem Ersten Weltkrieg – T. L.) auch aufgekommen. Man nennt ihn hier (irreführend) ‚Pressechef’.

(Dovifat 1927, S. 207)

Tendenz zur seriösen und transparenten Pressearbeit

Abb.: Carl Hundhausen. Quelle: privat.

Diese von Anzeigenwerbung unabhängige Pressearbeit konnte transparent und seriös sein, sie konnte aber auch manipulative Züge aufweisen. PR-Nestor Hundhausen berichtete 1929 (S. 8f., 307, 311) über eine Art der Banken-Werbung in den USA „durch besondere Zeitungsartikel, die in der Form redaktioneller Mitteilungen im Text des Blattes über die einzelnen Transaktionen der betreffenden Institute unterrichten.“ Dies klingt nach professioneller PR. Aber es gibt Mängel in der Transparenz: „Diese anscheinend uninteressierte, aber doch sehr scharf nach den Interessen des Hauses, das diese Artikel (‚puff’)1 versendet, orientierte Form der Werbung ist so ausgebildet, dass man oft nicht zu unterscheiden vermag, wer hier der berichtende Teil ist.“

Für die eher seriöse Form der Pressearbeit stand Hans Brettner, wenn er 1924 riet: „Eine industrielle I(nteressen) V(ertretung) muss die journalistischen Usancen, die sich mit der Zeit zu einem wichtigen und ‚peinlichen Ehrenkodex’ des Redakteurstandes herausgebildet haben, kennen, um in der Wahl ihrer Mittel sich keinen Rückschlägen auszusetzen.“ Dazu sollte auch der vertrauensvolle Dialog gehören: „Denn der ernsthafte Journalist versteht es durchaus zu schweigen, wenn und wo es im Interesse des öffentlichen Wohles liegt. Voraussetzung hierfür ist freilich eine ehrliche Aussprache.“ (Brettner 1924, S. 32, im Original gesperrt; zit. nach Liebert 2003, S. 94) Durchaus modern ist der Gedanke, dass ein professionelles Verhältnis neben verantwortungsbewussten PR-Leuten auch verantwortungsbewusste Journalisten voraussetzt.

Maximilian Müller-Jabusch, „Pressechef der D.D.-Bank“, verkörperte ein modernes Rollenverständnis, als er 1930 (Bl. 4) erklärte: Er sei „Anwalt“ seiner Bank, dürfte aber „nicht lügen, denn dann verscherzt er sich das Vertrauen“ – der Journalist hingegen sei „Richter“ bzw. „Richter und Staatsanwalt zugleich“.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Im Englischen: puff = Anpreisung; give s.th. a puff = etwas hochjubeln.