PR von Interessenverbänden (= zweites Praxisfeld)
Quantität und Form der Pressearbeit
In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts überstieg „das in Form von Freikorrespondenzen aus den Pressebüros der Interessenverbände hereinströmende Material“ den verfügbaren Zeitungsraum um ein Vielfaches, „manchmal um das Zehnfache“ (Dietrich 1929, S. 7 und 12, zit. in Liebert 2003, S. 55).
Allerdings wurden die Frei- oder Gratiskorrespondenzen von Fachvertretern auch unter „redaktionelle Reklame“ subsumiert und damit – sofern dieser Begriff abschätzig verwendet wurde (siehe weiter hinten), was nicht zwangsläufig der Fall war1 – diskreditiert. Im Zusammenhang mit dem Befund, dass Öffentlichkeitsarbeit in den 1920er-/1930er-Jahren in Deutschland (noch) primär als „passive“, „unbewusste“ oder „sekundäre“ Reklame bzw. Werbung aufgefasst wurde (Lange 2010, S. VII, 22 u.a.), konnte der Begriff „redaktionelle Reklame“ auch sachlich-beschreibend gemeint sein.
Beispiele für interessenbezogene Öffentlichkeitsarbeit
Bereits 1918 stellte der Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller ein neues PR-Programm vor, „das insbesondere die Arbeiter über wirtschaftspolitische Zusammenhänge aufklären sollte“. Es kann als Vorläufer der Kampagne „Die Waage“ für soziale Marktwirtschaft in der BRD der 1950er-Jahre angesehen werden. (Kunczik 1997, S. 206)
Allerdings ist ein Aufschwung der PR von Interessenorganisationen nicht nur im privatwirtschaftlich-industriellen Bereich bzw. im Arbeitgeberlager zu verorten. Er bezog in der demokratisch verfassten Weimarer Republik alle gesellschaftlichen Handlungsfelder ein, so auch die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen. Ein gewerkschaftsnaher Autor charakterisiert rückblickend die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wie folgt: „Die Wirtschaft war geschwächt, die Gewerkschaften hatten sich zu mächtigen Organisationen entwickelt (…)“. Daraus erwuchsen allerdings wiederum verstärkte Kommunikationsanstrengungen von Arbeitgebern bzw. Unternehmen. (Horné 1959, S. 738)
Beispiel: (Fremden-)Verkehrsverband Thüringen
Verbände agierten auf allen möglichen Feldern. Verkehrsverbände, heute würde man von regionalen bzw. Landes-Tourismusverbänden sprechen, hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg versucht, im privaten und öffentlichen Interesse den Fremdenverkehr anzukurbeln. In den 1920er-Jahren intensivierten sie ihre Bemühungen, wie auch das Beispiel Thüringen zeigt:
Unter dem Slogan „Thüringen – das grüne Herz Deutschlands“ war der Verkehrsverband um strategische Positionierung bemüht und mit Verbandszeitschrift, Pressearbeit und Eigenpublikationen („Werbeschriften“) instrumentell breit aufgestellt.
Anmerkungen
1 Mataja argumentierte beispielsweise – hier aus der Perspektive der journalistischen Redaktionen – differenziert, wenn er schreibt: Anstößig werde redaktionelle Reklame erst dann, „wenn die Hervorhebung oder Empfehlung eines Gegenstandes nicht auf Grund eigenen Urteils der Schriftleitung oder nicht an dem Orte und zu der Zeit stattfindet, wo und wann dies den Aufgaben des Beitrages entspricht, um den es sich handelt. Jedes Lob ist berechtigt, wenn es der wirklichen Meinung dessen entspricht, der es vorbringt, und wenn es zur rechten Zeit und am richtigen Orte erfolgt.“ (Mataja 1920, S. 298ff.)