Gesellschaftliche „Draufsicht“ (= dritte Perspektive auf PR)

PR wurde von Gesellschaft wahrgenommen

Dass die (zunehmende) PR-Praxis zu einer kommunikativ-medialen und gesellschaftlichen Normalität geworden war, schlug sich auch in einschlägigen Lexika nieder. Das „Staatslexikon“, Ausgabe 1931, enthielt nach dem Eintrag „Presse“ das Stichwort „Presseamt, Pressestelle“. Der Autor Valmar Cramer wandte sich darin überwiegend den behördlichen Pressestellen zu, um dann anzuknüpfen:

Grundsätzlich verschieden von den staatl. u. kommunalen P.stellen sind die P.stellen wirtschaftlicher Unternehmungen sowie sozialer, kultureller, politischer usw. Organisationen. Ihre Aufgabe erstreckt sich auf die journalist. Vertretung bestimmter Interessen ideeller od. materieller Natur. Ihre Arbeit zielt auf die Beeinflussung der öffentl. Meinung in offener od. versteckter Form hin, oft mit Hilfe von Korrespondenzen zur Verschleierung der Nachrichtenquelle. Bei wirtschaftlichen Unternehmungen läuft die Tätigkeit der P.stellen meist auf eine Geschäftswerbung hinaus; doch haben sie durchweg auch die Aufgabe der Information der Werks- od. Verbandsleitung über den Inhalt der Tages- u. Fachpresse. Die Zeitungen sind diesen P.stellen gegenüber im allg. sehr kritisch eingestellt; (…).

(Cramer 1931, Sp. 369-372)

Zwar nahm Cramer hier eine unterschiedliche moralische Beurteilung von Pressearbeit im öffentlichen und privatwirtschaftlichen Sektor vor, ansonsten aber war das breite Spektrum von Pressearbeit und ihr Verhältnis zum Journalismus thematisiert. Immerhin wurde zumindest dem behördlichen Presseamtsleiter im „Staatslexikon“ die Rolle zugeschrieben, der „ehrliche Makler zwischen Verwaltung u. P(resse) zu sein, gestützt durch das beiderseitige Vertrauen“ (Cramer 1931, Sp. 370).

PR der Wirtschaft und Interessenverbände als notwendig anerkannt

Abb.: Am Soziologentag 1930 nahm auch der „Altmeister“ der Soziologie Ferdinand Tönnies teil, das Foto wurde allerdings schon ca. 1915 aufgenommen. Fotograf: Ferdinand Urbahns (1863-1944). Quelle: http://www.dithmarschen-wiki.de/Datei:FotoUrbahns.jpg bzw. b p k Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte Berlin / Wikimedia Commons (Public Domain).

Als Gradmesser für die sozialwissenschaftliche und intellektuell-gesellschaftliche Akzeptanz von bzw. Problemsicht auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. Unternehmens- und Organisationskommunikation kann der Soziologentag 1930 gelten. Er beschäftigte sich u.a. mit dem Thema Presse und öffentliche Meinung.1 Eine aktive Pressearbeit von Unternehmen wurde dort thematisiert und als notwendig anerkannt:

Die Wirtschaft könne nicht aufhören, …

(…) an die Presse heranzutreten, ihr Nachrichten bestimmter Art anzubieten, sie zu ersuchen, bei den Millionen eine Zustimmung zu ihrer Wirtschaftsführung einzuholen. Die großen Unternehmungen und Verbände bedürfen eines gewissen Maßes öffentlichen Vertrauens und der Anerkennung – ohne Autorität und Popularität kann sich kein Verband, keine Unternehmung durchsetzen und im Großen gesehen, wirtschaftspolitisch erhalten. Zu diesem Zwecke (…) (gibt es diese) neugegründeten Pressestellen, die wir überall finden (…).

(von Eckardt 1930/31, S. 42f., zit. nach Liebert 1996/2003. Hervorheb. im Orig.)

Problembewusstsein für Verhältnis von PR und Journalismus

Die wahrgenommene Entwicklungstendenz wurde durchaus problembewusst reflektiert. So lässt sich das folgende Zitat über das – heute würde man sagen – Verhältnis von Journalismus und PR nicht nur als kritische Beschreibung des Zustandes der Presse („Zeitung“), sondern als Erwartung noch größerer Herausforderungen vor allem für die journalistischen Medieninstitutionen lesen:

Die moderne Zeitung habe …

(…) sich den Gegenspieler und vielleicht Beherrscher ihres unersättlichen Informationsdranges selbst erzogen: in den Pressestellen und Pressereferaten, die nunmehr jeder der Öffentlichkeit ausgesetzte oder sie suchende Lebensmittelpunkt von Staats- und Gemeindebehörden bis zu großen Künstlern und Kliniken sich einzurichten veranlasst sieht und die vielleicht noch nicht so sehr wirtschaftlich, jedenfalls aber geistig einen unabsehbaren Wettbewerb mit der autonomen Nachrichtenproduktion der Zeitungen, Telegraphenagenturen und Korrespondenzbüros eröffnet haben.

(Brinkmann 1930/31, S. 27, zit. nach Liebert 1996/2003)

Kunczik (1997, S. 353) schlussfolgert aus den Diskussionen des Soziologentages, „dass die Problematik der ÖA (sic!) in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft offensichtlich einen doch recht hohen Stellenwert eingenommen“ habe. Und mit Blick auf die kommende Epoche der NS-Diktatur ab 1933: „Das Wissen um diese Thematik ist aber insbesondere durch den Zusammenbruch Deutschlands im Zweiten Weltkrieg fast vollständig verloren gegangen bzw. nicht weiter beachtet worden.“

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu auch Kunczik 1997, S. 351ff.