Diskussion der Wirkungen
Erfolge und Wirkungsbelege
In die kaiserliche Flottenkampagne flossen viele Ideen, Bemühungen und Geld. Nicht zuletzt deshalb stellt sich die Frage, welche Früchte dieses Kommunikationsprogramm letztendlich trug. Kann von einem Erfolg auf ganzer Linie gesprochen werden?
Die obersten, eher kurzfristigen Sachziele bildeten die Verabschiedung der vorgelegten Flottengesetze bzw. -novellen und eine entsprechende Budgetbewilligung durch den Reichstag. Darauf bezogen sind die Anstrengungen, die Parlamentarier von dem Flottengedanken zu überzeugen, geglückt und als erfolgreich einzustufen.1
Darüber hinaus sollten jedoch zweitens, langfristig betrachtet, die Popularität der Marine gesteigert und die deutsche Gesellschaft für die Flotte begeistert werden. Schließlich wurde angenommen, man könne so einerseits der Marinenachwuchs sichern und andererseits das Volk in seinem Enthusiasmus gegenüber der Marine vereinen. Auf den ersten Blick scheint auch dieses Ziel erreicht: Allein der rasante Anstieg der Mitgliederzahlen des 1898 gegründeten Flottenvereins bestätigt die damals wachsende Beliebtheit der kaiserlichen Marine und das vermehrte Interesse an Seefahrt und Schiffbau. Auch der Matrosenanzug, der zu dem Modestück schlechthin für Mädchen und Jungen im wilhelminischen Zeitalter avancierte, wird häufig als Wirkungsbeweis zitiert (ist aber nicht sicher auf die Kampagne rückführbar).
Reserven
Diese romantisierte Begeisterung für die Seefahrt darf jedoch nicht unreflektiert mit einer breiten Akzeptanz für die angestrebte Flottenaufrüstung gleichgesetzt werden. Es sollte sich herausstellen, dass nicht das gesamte deutsche Volk den Flottengedanken gleichermaßen unterstützte, sondern vornehmlich Bürger aus dem Norden Deutschlands sowie das Besitz- und Bildungsbürgertum.
Der Funke ist folglich nicht wie beabsichtigt auf alle Schichten übergesprungen. Das Kleinbürgertum und vor allem die Arbeiterschaft blieben von dem Flottenenthusiasmus mehr oder weniger ausgenommen.2 Allerdings war auch dort die Kampagne nicht völlig wirkungslos, vor allem wohl durch das Wirken der Flottenprofessoren als Verfechter „gouvernemental angebundener Gelehrtenpolitik“.
Die Vertreter dieser Konzeption, allen voran Delbrück, schrieben sich vielmehr gerade am Beispiel der Flottenkampagne das Verdienst zu, nicht nur bei Teilen der Sozialdemokratie Verständnis für die Flottenpolitik geweckt zu haben, sondern auch, ‚dass der Weg der Umsturz-Gesetzgebung; der auf die Dauer ins Verderben geführt hätte, jetzt verlassen ist‘.
(Nottmeier 2004, S. 188)
Mit dem einerseits Ausschluss (vgl. Pressearbeit) und andererseits Einschluss der Sozialdemokratie in die Bezugsgruppendefinition stellt sich die Kampagne strategisch als nicht widerspruchsfrei dar, ist aber zumindest ansatzweise auf alle Klassen und Schichten ausgerichtet bzw. gesellschaftlich-integrativ im Sinne nationaler Sammlung konzipiert.
Anmerkungen
1 Allerdings kann das Abstimmungsverhalten im Parlament nicht nur auf die Kampagne zurückgeführt werden. Wichtig waren für diese Entscheidungen auch innen- und parteipolitische Überlegungen der Abgeordneten bzw. Fraktionen. Bürgerliche Vertreter beispielsweise wollten durch den Flottenbau die Macht des kaiserlichen Staates als Schutz vor der Gefahr eines sozialistischen Umsturzes ausbauen. Daneben war auch die Angst vor der Auflösung des Reichstags und der Ausschreibung von Neuwahlen ein wichtiger Grund. Die von Anfang an ablehnende Haltung der Sozialisten konnte auch durch die Flottenpropaganda nicht aufgeweicht werden. (L.M./M.O.)
2 Vgl. Bollenbach 2009, Götter 2011, Kunczik 1997, Bergien 2005 und Deist 1976. Vgl. auch Daniel / Leonhard / Löffelholz 2011.