Die Waage

Pro Soziale Marktwirtschaft

Ursachen und Träger der Kampagne

Abb.: Plakat, mit dem die WAAGE bei der Bundestagswahl 1957 für Soziale Marktwirtschaft und die CDU/CSU wirbt. Quelle: Stiftung Haus der Geschichte Bonn.

Gründungsmythos und „Wirtschaftswunder“ der Bundesrepublik Deutschland sind untrennbar verbunden mit dem Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft. Aus späterer Perspektive und dem Triumph dieses Modells bei der deutschen Wiedervereinigung erscheint es schwer vorstellbar, dass es einmal Zweifel an dem Erfolg und der Richtigkeit dieser Wirtschaftsordnung gab. Doch Anfang der 1950er-Jahre stand die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung der Sozialen Marktwirtschaft unwissend und kritisch gegenüber – planwirtschaftliche Modelle standen hoch im Kurs (u.a. Berger 2009; Kunczik/Schüfer 1993, S. 37; Hein 1998, S. 87ff.).

Vor diesem Hintergrund gründete am 23. September 1952 in Köln eine Gruppe von führenden Unternehmern den Verein „DIE WAAGE. Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs e.V.“. Er verstand sich als eine freiwillige, private und vermeintlich überparteiliche Vereinigung. Sein Ziel: die Gesamtbevölkerung mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen bekannt zu machen und dabei kontinuierliche Vertrauenswerbung1 für die Idee der Sozialen Marktwirtschaft zu betreiben. Zudem sollte die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern verbessert werden, um einen sozialen Frieden sicherzustellen. Diese sozial-wirtschaftspolitische Intention war auch pragmatisch im Namen und Symbol des Vereins DIE WAAGE verankert.

In dem Verein organisierten sich vor allem die Chemiebranche und davon abhängige Unternehmen, die ein ureigenes Interesse an der Durchsetzung dieser Wirtschaftsform hatten. Organisatorisch handelte es sich um eine eher informelle Konstruktion gesellschaftlich-politischen Engagements der Wirtschaft, die amerikanische Erfahrungen wirtschaftlich-staatlicher Kooperation nutzte (Schindelbeck 1999; Kunczik 1993, S. 22/24) und sich von der in Deutschland auch früher schon üblichen Kommunikation von Wirtschaftsverbänden abhob.

In Zusammenarbeit mit einer Werbeagentur wurde eine langfristige Kampagne entwickelt, die eine breite Bevölkerungsgruppe von den Vorteilen der Sozialen Marktwirtschaft überzeugen sollte. Mit Mitteln und Instrumenten moderner Wirtschaftswerbung, wie Plakat, Anzeige und Film, griff die Kampagne eine breite Themenpalette auf und setzte Maßstäbe in Konzeption und Gestaltung. (u. a. Schindelbeck/Ilgen 1999; Speth 2004, S. 13-15)

PR-geschichtliche Bedeutung der Kampagne

Abb.: Fritz und Otto – zwei zentrale Figuren aus der Kampagne. Quelle: aus einer Anzeige der WAAGE im Spiegel vom 22. September 1954.

Für die PR-Geschichte ist die WAAGE-Kampagne bedeutsam, weil sie als eine der ersten und mit einer Laufzeit von 13 Jahren auch als eine der längsten PR-Kampagnen in Deutschland nach 1945 überhaupt gilt.2 Im Vergleich zu anderen Kampagnen der damaligen Zeit besticht sie durch Professionalität, Kontinuität und nicht zuletzt durch ihren Erfolg: So ist zumindest wahrscheinlich, dass sie zum Gründungsmythos der Bundesrepublik und zum Siegeszug der Sozialen Marktwirtschaft beigetragen hat.

Innovativ war zudem der alles in allem moderne Begriff von Öffentlichkeit bzw. Öffentlichkeitsarbeit der WAAGE-Macher, die mit ihrer Kommunikation auf Integration, Schaffung von Identität, Akzeptanz und – damals noch gängige Vokabel – Belehrung abzielten. Es herrschte die Überzeugung, dass nur mit und nicht gegen die öffentliche Meinung Beeinflussung möglich sei (Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 202). Auch hinsichtlich der Entwicklung neuer Kommunikationsmittel und -wege und der Einbeziehung von Demoskopie kann die WAAGE als Pionier moderner Politik-Kommunikation gelten.

Im näheren Umfeld des Vereins fanden sich Verbindungen zu den PR-Vordenkern Herbert Gross und Carl Hundhausen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die PR-Verständnisse von beiden auch auf das Wirken der WAAGE einen Einfluss hatten, vor allem die von Gross mit seinem Buch „Moderne Meinungspflege. Für die Praxis der Wirtschaft“ (1951).

Von ihrer Existenz, Präsenz und Wirkung her bietet die WAAGE das Bild eines Kometen, dessen Feuerball Ende 1952 hell aufstrahlte, um mit einem stets dünner werdenden Schweif Mitte der sechziger Jahre zu verlöschen.

(Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 203)3

Autor(en): L.D.S.F.C.J.T.L.

Anmerkungen

1 Vertrauenswerbung, Meinungspflege etc. sind zeitgenössische Termini aus den 1950er-Jahren. Obwohl wir hier den Begriff Vertrauenswerbung nutzen, die Kampagne in der Tat um Vertrauen „warb“ und auch Werbemittel nutzte, rechnen wir sie in der Logik öffentlicher Kommunikationsbereiche primär der Öffentlichkeitsarbeit/PR und nicht der (Produkt-) Werbung zu. In der umfassenden Kommunikationskampagne vermischten sich Elemente von Public Relations, Propaganda und Werbung.

2 Bentele veröffentlichte 1997 eine Periodisierung deutscher PR-Geschichte, die er in sechs Zeitabschnitte sowie die Vorgeschichte aufgliedert. Die 4. Periode umfasst die Jahre 1945 bis 1958 und lässt sich als eine Phase des Neubeginns und Aufschwungs charakterisieren (Bentele 1997, S. 161). Auch Bentele/Liebert 2005, S. 227f.

3 Vgl. auch: Schindelbeck 1999.

 

Bildnachweis für Beitragsfoto (ganz oben): Emblème de la Justice. Autor: Mbiama. Quelle: Wikimedia Commons Attribution Share alike 3.0 Unported http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en