Einordnung und Kritik

PR-Geschichte der jungen Bundesrepublik

Szyszka (1998) bezeichnet die erste Phase der Geschichte der PR in der Bundesrepublik (bis 1960) als eine der funktional gesellschaftsbezogenen „Konzeptualisierung“. In dieser war Öffentlichkeitsarbeit nicht primär Organisations-Kommunikation von konkreten Unternehmen mit ihren jeweiligen Teilöffentlichkeiten, sondern gesellschaftspolitisch ausgerichtet: Als „Sachwalter der neuen Ordnung“ ging es vor allem darum, die Wirtschafts- und Gesellschaftsform der sozialen Marktwirtschaft in den Hirnen und Herzen der Menschen zu verankern.1 Allerdings sollte dies in deutlicher Abgrenzung zur Propaganda von vor 1945 geschehen, beispielsweise durch einen nicht-aggressiven Stil. Auch Haedrich/Barthenheier/Kleinert (1982) konstatieren, dass die PR-Autoren der 1950er-Jahre in der Lösung der „sozialen Fragen“ die Hauptaufgabe sahen und Interessenidentität zwischen Wirtschaft und Bevölkerung herstellen wollten.

Tatsächlich erhielt Öffentlichkeitsarbeit mit der PR-Kampagne ‚Die WAAGE‘ in der Frühphase auch einen Auftrag mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung: Sie sollte Akzeptanz für das neue Wirtschaftssystem gewinnen und damit einen Grundstein für Wohlfahrt und Wohlstand legen. Jessen/Lerch2 hielten dem schon vor 20 Jahren (1978) die nur vordergründige Interessenidentität zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern entgegen und erklärten das Selbstbild der Öffentlichkeitsarbeit vom ‚selbst verordneten Schweben über den einzelnen Interessen‘ zu einer Illusion, deren totales Scheitern nur ‚gnädig durch den schnellen wirtschaftlichen Aufstieg des Nachkriegsdeutschland verhindert‘ worden sei.

(Szyszka 1998)

Abb.: Briefmarke zum 100. Geburtstag von Ludwig Erhard 1997. Quelle: Wikimedia Commons (gemeinfrei).

Unbestreitbar ist, dass sich die Kommunikationsziele der WAAGE mit später erreichten Ist-Zuständen der bundesrepublikanischen Gesellschaft decken (Schindelbeck 1999). Dass die Kampagne dennoch ambivalent beurteilt werden kann, hat vor allem mit weltanschaulichen und parteipolitischen Standpunkten zu tun. Die WAAGE förderte den Mythos der Sozialen Marktwirtschaft als Grundstein für den Erfolg der westdeutschen Bundesrepublik nach 1945 – es waren und sind aber auch andere und durchaus mit der Demokratie kompatible Wirtschaftsmodelle denkbar. Zugleich gab es politische Kräfte, die mit der Kampagne mehr gewannen als andere: So stützte sie auch den Mythos um Ludwig Erhard als Vater des „Wirtschaftswunders“ und herausragenden CDU-Politiker.3

Sozialdemokraten und Gewerkschaften standen der Kampagne – vor allem bis Mitte der 1950er-Jahre – kritisch gegenüber (Schindelbeck 1999; Faust/Lennartz 1992, S. 112). Auf die ersten „Anzeigenlawine“ der WAAGE wurde umgehend und heftig reagiert (Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 92). Man sah die Inserate des Vereins als eine Art Propagandafeldzug Erhards. Neben der Intransparenz der Auftraggeber bot auch die Finanzierung der WAAGE Angriffsfläche. Zwar gab es vereinzelt Konteranzeigen von politischen Gegnern, doch gerade die Gewerkschaften blieben weitgehend in der Defensive, da sie mit der Qualität der WAAGE-Kampagnen nicht mithalten konnten (vgl. Schindelbeck/Ilgen 1999; Kunczik/Schüfer 1993). Des Weiteren standen einige Protagonisten der modernen Form von Öffentlichkeitsarbeit unter Einbezug von Demoskopen prinzipiell skeptisch gegenüber.4

PR im Kampf der Gesellschaftssysteme

Abb.: CDU-Kontinuität: Adenauer wirbt 1963 um Vertrauen für Erhard als Nachfolger, trotz bekannter Querelen zwischen beiden Politikern. Foto: CDU-Bundesgeschäftsstelle. Quelle: Stiftung Haus der Geschichte Bonn.

Die zunehmende Akzeptanz und schließlich der Siegeszug des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft – gerade auch mittels Public-Relations-Arbeit – in der westdeutschen Bundesrepublik musste dem anderen deutschen Staat, der planwirtschaftlich-sozialistischen DDR, ein Dorn im Auge sein. In der DDR-Presse wurde die WAAGE-Kampagne aufmerksam verfolgt (Schindelbeck 1999). Die kritische Haltung von DDR-Autoren gegenüber „kapitalistischer“ Public Relations und ihre Charakterisierung als „Ideologie“ erklärt sich vor allem vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitisch ausgerichteten PR-Praxis in der frühen Bundesrepublik:

 

Die „Public-Relations“-Doktrin suche durch

die Propagierung einer angeblichen Interessensolidarität zwischen Unternehmen und Gesellschaft die Existenz der monopolkapitalistischen Gesellschaftsordnung künstlich zu erhalten (…) Um von jeder Forderung nach revolutionärer Änderung des Eigentums an den Produktionsmitteln abzulenken, wird hierbei sogar der Versuch gemacht weiszumachen, dass die Profitproduktion ein Naturgesetz sei, das auch für jede andere Gesellschaftsordnung maßgebend sein müsse.

(Klein 1958, S. 3)

Je größer – so die marxistisch-leninistische Lesart – in Westdeutschland

der Widerspruch zwischen einer kleinen Schicht Großkapitalisten und der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung“ werde, „um so notwendiger hat jede wirtschaftstheoretische oder soziologische Auffassung, hat jede wirtschaftspraktische, wirtschaftspolitische Maßnahme apologetische Funktionen zu erfüllen. Bei den Public-Relations-, Human-Relations-, Sozialpartnerschafts-Ideologien u. a. steht diese apologetische Funktion klar im Vordergrund.

(Klein 1966, S. 3)5

Kommunikationsfachliche Kritik

Ohne weltanschauliche Frontstellungen oder unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bemühen zu müssen, bleibt zu konstatieren: Die WAAGE-Aktionen richteten sich auf eine Stabilisierung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse und eine Harmonisierung sozialer Gegensätze. Es hatte den Anschein, als habe der Verein die Interessen der Bevölkerung vertreten und dabei komplett uneigennützige Ziele verfolgt; dabei standen hinter der Kampagne aber auch privat-wirtschaftliche, unternehmerische Interessen.

Die Publikumsansprache erfolgte sehr senderlastig; dialogische Konzepte, die die Bevölkerung in die Kommunikation einbinden würden, fehlten. Weitere Kritikpunkte sind die mangelnde Transparenz und der allzu werbliche Charakter der Kampagne. (u. a. Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 5)

Autor(en): T.L.L.D.S.F.C.J.

Anmerkungen

1 Zum Zusammenhang von Marshall-Plan und PR-Geschichte auch in: Szyszka 1997, S. 291ff. Diesener/Gries 1996, S. 193ff.

2 Jessen, Joachim; Lerch, Detlef (1978): PR für Manager. Das Bild des Unternehmens. München: Wirtschaftsverl. Langen-Müller/Herbig. Jessen/Lerch werden auch von Haedrich/Barthenheier/Kleinert (1982, S. 10f.) referiert.

Zur Biografie von Erhard: http://www.hdg.de/lemo/html/biografien/ErhardLudwig/index.html

4 Vgl. Speth 2004; Schindelbeck/Ilgen 1999; Kunczik/Schüfer 1993.

5 Klein (1958) meint aber durchaus, dass die DDR-Wirtschaftswerbung von den „Public Relations“ das eine oder andere lernen könne (S. 4). 1966 spricht er sich bezogen auf die DDR für eine „sozialistische Öffentlichkeitsarbeit“ aus (S. 4).

Wahlplakat_Ehrhard_CDU_

Abb.: CDU-Kontinuität: Zur Bundestagswahl 1965 setzt die Partei auf die Popularität von Bundeskanzler Erhard. Quelle: Deutsches Historisches Museum Berlin / Stiftung Haus der Geschichte.