Kaiserliche Flottenkampagne II

Strategie(n): Taktung und Segmentierung

Vorbemerkungen

Der Beitrag zur kaiserlichen Flottenkampagne besteht aufgrund der Materialfülle und Bedeutung für die PR-Geschichte aus zwei Teilen (Flottenkampagne I und Flottenkampagne II). Hier beginnt der zweite Teil. Bei dem Kommunikationsprogramm zum Ausbau der deutschen Marine handelt es sich um einen interessanten und innovativen Aspekt staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im wilhelminischen Zeitalter. Der Beitrag beschäftigt sich im engeren Sinne mit den Jahren 1897 bis 1912, im weiteren Sinne mit dem Zeitabschnitt von 1893 bis 1914.

Der erste Teil behandelte vor allem die historischen und kommunikativen Rahmenbedingungen sowie die Ziele der Kampagne. Im zweiten Teil wird sich auf die Strategien und Instrumente konzentriert.

Schrittweises, dosiertes Vorgehen

Abb.: S.M. Linienschiff Thüringen auf einer alten Postkarte (um 1909-23). Urheber unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons, vermutlich gemeinfrei.

Die Flottenkampagne hob sich von anderen kommunikativen Anstrengungen der damaligen Organisationszentralen bzw. Pressebüros deutlich ab. Grund dafür war vor allem die strategische Ausrichtung. Mit einer bedachten Abfolge und Kombination von informativen und persuasiven Botschaften sollte es gelingen, die Ziele der Flottenpolitik zu erreichen.

Tirpitzens Hauptanliegen war es, durch ein Gesetz den Flottenbau zu steuern, um dauerhaft eine stabile Baurate zu sichern.1 Allerdings war sich der Staatssekretär des Reichsmarineamtes darüber im Klaren, dass der Reichstag einer mit so hohen Kosten verbundenen Aufrüstung – die eine gewisse Anzahl an Schiffen pro Jahr vorsah – nicht zustimmen würde. Bereits in einem Memorandum vom 3. Januar 1896 sprach er sich deshalb gegen das System der jährlichen Bewilligung aus. Stattdessen plädierte Tirpitz für einen langfristigen Plan, den er dem Reichstag vorlegen wollte, um die Stärke der Flotte festzulegen und die Notwendigkeit einer Aufrüstung zu begründen. Tirpitz erkannte, dass er bei seinem Vorhaben etappenweise vorgehen musste. Nur auf diese Weise konnte er den Reichstag dazu bewegen, ein so hohes Budget für den Flottenbau zu bewilligen.2

Das erste Flottengesetz vom 28. März 1898 legte die Baurate gesetzlich auf ein Dreier-Tempo fest (drei Schiffe jährlich). Dieses wurde als stabilisierendes Element angesehen, da es eine ökonomische Kalkulation pro Jahr ermöglichte. Nach Fertigstellung sollten die Schiffe 25 Jahre lang im Dienst bleiben und im Anschluss automatisch durch Neubauten ersetzt werden. Somit würde der Reichstag zur Bewilligung der nötigen Mittel gezwungen sein. Um das Parlament in Hinblick auf die entstehenden Kosten nicht zu beunruhigen, wurde eine Geldgrenze eingeführt. Die Flotte sollte nach Durchführung des ersten Flottengesetzes aus 19 Linienschiffen, acht Küstenpanzerschiffen, zwölf großen und 30 kleinen Kreuzern bestehen.3 Damit war die erste Etappe des Tirpitz- Planes geschafft.

Weitere sollten noch folgen, wie aus einer von ihm im November 1898 verfassten Denkschrift hervorgeht: „Nach jahrelangen Mühen und Kämpfen ist es endlich gelungen, für die Wehrmacht zur See ein sicheres Fundament zu schaffen, auf der sich der Ausbau vollziehen soll“ (Berghahn 1971, S. 160). Ziel dieses etappenweisen Aufbaus war es, bei der seemächtigsten Nation der Welt keinen Verdacht zu erwecken. Gleichzeitig konnten dadurch Widerstände im Parlament umgangen werden, da die enormen Kosten nicht gleich offengelegt wurden.

Definition von Adressaten und Mittlern

Kern des Konzeptes war eine bis dato ungesehene Bezugsgruppenorientierung.4 So wurden diverse relevante Gruppen definiert, die jeweils eine gesonderte Funktion erfüllen sollten. Als primäre Zielgruppe galten die Parlamentarier: Schließlich hing es von ihrem Zuspruch ab, ob die Flottengesetze wie gewünscht verabschiedet werden konnten.

Darüber hinaus wurden weitere ‚Mittlerzielgruppen‘ identifiziert, die ihrerseits Druck auf die Politiker ausüben sollten. Das waren beispielsweise die Katholiken, weil die Zentrums-Partei „im Parlament das Zünglein an der Waage“ (Kunczik/Zipfel 2013, S. 17) bildete. Aufgrund des sich zu einem mächtigen Faktor entwickelnden Mediensystems gerieten vor allem Journalisten als prägende und einflussreiche Zielgruppe in den Blick. Aber auch die allgemeine Öffentlichkeit und insbesondere das nationalbewusste Bildungsbürgertum galt es für die Flottenpolitik zu begeistern. So erhofften sich die Kampagnenmacher, das Thema nachhaltig positiv in der öffentlichen Debatte zu verankern.

Neben dem bürgerlichen Lager – dort insbesondere Großindustrielle und Handelsleute – gab es auch eine gezielte Ansprache der Arbeiterschaft. Hier wurde zielgerichtet über die Arbeitsplatzbeschaffung in der Stahl- und Werftindustrie argumentiert. Allerdings hatte die Flottenpropaganda unter den Arbeitern einen schweren Stand. Die überwiegend sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter standen dem Flottenbau gemäß ihrer sozialistischen Haltung meist ablehnend gegenüber. Da diese Position sehr festgefahren war, beschränkte sich das Nachrichtenbüro bald darauf, sozialdemokratische Medien wie das Parteiorgan „Vorwärts“ zwar zu beobachten, aber nicht mehr dezidiert anzusprechen.5

Autor(en): L.M.M.O.R.-M.U.C.K.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Berghahn/Deist 1914, S. 182.

2 Vgl. Rödel, 2003, S. 104.

3 Vgl. Neugebauer 1993, S. 225.

4 Dies betonen auch Kunczik/Zipfel 2013, S. 17.

5 Vgl. Bollenbach 2009, S. 71 und 77f. An anderer Stelle weisen wir allerdings auch darauf hin, dass die Kampagne innerhalb der Sozialdemokratie nicht völlig wirkungslos blieb.

 

Bildnachweis für Beitragsfoto (ganz oben): SMS Deutschland, vorderer Geschützturm (Kaliber 28 cm) 1906. Quelle: Kommando der DDR-Volksmarine, jetzt: Bundesarchiv, DVM 10 Bild 23-61-38 / CC-BY-SA 3.0. „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“  https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode