Die Gründung
Mangelnde Akzeptanz ruft Unternehmer auf den Plan
Zwischen 1948 und 1951 durchgeführte Repräsentativumfragen durch das Allensbacher Institut für Demoskopie (IfD) ergaben eine wachsende Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Bei vielen Westdeutschen war ferner die Figur des Unternehmers negativ besetzt.1 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft war noch weitgehend unbekannt oder wurde mit falschen Assoziationen, wie z.B. – welche Ironie – „Soziale Marktwirtschaft ist, wenn die SPD an die Regierung kommt“, in Verbindung gebracht (Kunczik/Schüfer 1993, S. 36; Greiß 1972, S. 100).
Die Überzeugungsmaßnahmen der bundesrepublikanischen CDU-Regierung waren spärlich und stießen beim Bürger nicht auf Akzeptanz. Vor allem aus diesem Grund – und natürlich aus wirtschaftspolitischen Eigeninteressen – erkannte Anfang der 1950er-Jahre eine Reihe von Unternehmern die Notwendigkeit, gemeinsam und kontinuierlich Vertrauenswerbung für die Idee der Sozialen Marktwirtschaft und die dahinter stehende Regierung zu betreiben.
Für das Jahr 1953 stand zudem die nächste Bundestagswahl an und aus bürgerlich-konservativen Kreisen wurde ein Machtwechsel zugunsten der SPD befürchtet, die u. a. eine sozialistische Planwirtschaft befürwortete.2
Geburt der Idee im Umfeld katholischer Unternehmer
Im Spätsommer 1951 entstand im Freundeskreis von Franz Greiß, dem damaligen Vorsitzenden des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU), die Idee zur Gründung der WAAGE-Gemeinschaft. Die Gesellschaft für Gemeinschaftswerbung von H. W. Brose wurde mit der Ausarbeitung eines detaillierten Konzeptes beauftragt und legte am 1. Dezember „Vorschläge für eine planvolle Beeinflussung der öffentlichen Meinung zugunsten einer Verbesserung des sozialen Klimas im Rahmen der freien Wirtschaft“ vor. Doch zur Realisierung des Projekts fehlten die Finanziers aus der Unternehmerschaft ebenso wie die politische Rückendeckung. (Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 13f.)
Für beides sorgte Otto A. Friedrich, u. a. Rohstoffberater der Bundesregierung und guter Bekannter Ludwig Erhards.3 Im Mai 1952 wurden „Werbe- und Bettelbriefe“ an deutsche Unternehmer mit der Unterschrift Ludwig Erhards versandt, in denen dazu aufgefordert wurde, eine „Aktion Soziale Marktwirtschaft“ mit zu begründen und zu finanzieren. Die Aktion sollte den Zweck verfolgen, mit Zeitungsanzeigen, Plakaten und Filmen, ohne Polemik und frei von politischen Aggressionen für die Grundsätze, Handlungszusammenhänge und Erfolge der westdeutschen Wirtschaftsordnung zu werben. Bereits im September hatte man feste Zusagen in Höhe von 1,2 Millionen DM, weitere 800.000 waren gezeichnet. Als Konsequenz wurde am 23. September 1952 „DIE WAAGE. Gemeinschaft zu Förderung des sozialen Ausgleichs e. V.“ gegründet.4 Damit war der Grundstein für eine der ersten und auf Jahre hinaus größten Public-Relations-Kampagnen in Deutschland gelegt.5
„Informelle Kreise“
Die junge Bundesrepublik in den fünfziger Jahren galt als die „hohe Zeit der ‚informellen Kreise“ (Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 4). Dabei handelte es sich um meist männerdominierte, netzwerkartige Bündnisse mit konspirativen Zügen, die für die Entwicklung des politischen und gesellschaftlichen Systems der „Ära Adenauer“ entscheidende Impulse gaben. Ein Paradebeispiel dafür war die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise (ADK). Sie sollte die Stimmung im Volk erfassen und die Akzeptanz demokratischer Vorstellungen fördern.6
Auch die WAAGE lässt sich in diesen Organisationstypus einordnen. So war es für Außen-stehende nicht leicht zu durchschauen, wer sich hinter dem Verein verbarg. Neben der WAAGE existierten außerdem weitere informelle Kreise, die sich auch für die Soziale Marktwirtschaft oder eine Verbesserung des Unternehmerbildes einsetzten, wie z. B. die Arbeitsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM) oder der Arbeitskreis selbstständiger Unternehmer (ASU). Zeitweise waren diese „unliebsame Konkurrenten“ der WAAGE im öffentlichen Raum (Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 36).
Anmerkungen
1 Noelle-Neumann 1953, S. 5-8 u. a. Auch Greiß 1972, S. 95.
2 Vgl. Greiß 1972; Kunczik/Schüfer 1993; Schindelbeck/Ilgen 1999.
3 Otto A. Friedrich (1902-1975) war u. a. Generaldirekter der Phoenix Gummiwerke AG, Vizepräsident des BDI und saß im Aufsichtsrat bei BP und Daimler-Benz. Er wurde 1950 als Rohstoffberater ins Wirtschaftsministerium berufen. Vgl. Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 57. 1969 bis 1973 war er Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
4 Hentschel 1996, S. 196; Greiß 1972, S. 98. Die WAAGE war nicht die einzige informelle Vereinigung, seit 1947 gab es beispielsweise die Wirtschaftspolitische Gesellschaft (Wipog). Schindelbeck/Ilgen 1999, S. 34.
5 U. a. Müller-Vogg 1979, S. 47. Kunczik/Schüfer 1993, S. 36. Diesener/Gries 1996, S. IX und XI.