Kaiser Wilhelm II. und das Massenmedium Presse

Kaiser in den Medien

Das seinerzeit wichtigste Massenmedium war die Presse, also periodisch verbreitete, aktuelle gedruckte Nachrichten und Meinungen. In jenen Jahrzehnten erhöhten sich Themenbreite, Umfang und Schnelligkeit der Information sowie Rezipientenzahlen der Presse deutlich. Zwangsläufig wurden damit einerseits Kaiser und Kaisertum immer mehr zum Berichterstattungsgegenstand und andererseits bot dies den Akteuren die Möglichkeit, das eigene Bild in den Medien zu beeinflussen bzw. noch umfänglicher die Presse für eigene politische etc. Absichten zu nutzen.

Einen guten Überblick über den Umgang des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. mit der Presse und vice versa gibt Glaab (2008). Daraus werden im Folgenden die wichtigsten Punkte referiert:

a) „Kaiser“ wurde immer mehr zum Medienthema und zwar in verschiedenster Weise sowie mit unterschiedlicher Tendenz: Einerseits beförderte Wilhelm II. dies, da für ihn „Zustimmung und Applaus äußerst wichtig waren“ und er gern der „strahlende Mittelpunkt“ sein wollte. (S. 201)

b) Andererseits wurden „Aspekte von Wilhelms Persönlichkeit“ und „seine Rolle als Herrscher“ ab den 1880er-Jahren Gegenstand eines medialen Diskurses, der schon aufgrund seiner Existenz das traditionelle Kaisertum mindestens indirekt in Frage stellen musste und nicht selten kommunikative und politische Krisen erzeugte. „Mehrfach kam es zu Skandalen, die Wilhelm oder seine nächste Umgebung betrafen und die Kritik am Kaiser weiter anfachten und verschärften.“ Anlässe waren häufig Ungeschicklichkeiten oder Taktlosigkeiten des Kaisers. (S. 201)1

Kaiser über die Medien

c) Wilhelm II. verfolgte die Medienberichterstattung sehr genau. „Ob der Kaiser Zeitungen komplett las oder sich lediglich auf den ihm täglich zugehenden Pressespiegel verließ, kann nicht geklärt werden.“ Kolportiert wird, „dass Wilhelm die kurzen narrativen Zeitungstexte den Berichten seiner Minister vorzog“. Wilhelm habe es als Pflicht des Herrschers angesehen, „sich mit Hilfe der Presse über die öffentliche Meinung, die er in der Regel mit der veröffentlichten Meinung gleichsetzte, zu informieren“. „Für ihn war die Presse ein Instrument, um das eigene Volk zu verstehen.“ (S. 206)

d) Der Kaiser ärgerte sich häufig über die Berichterstattung in der Presse, was er aber nach außen so nicht eingestand. Er wollte vielmehr demonstrieren, „dass er als absoluter Monarch weit über der Berichterstattung und der darin enthaltenen Kritik stand. Er trat nach außen als starker Soldatenkaiser auf, dem Klatsch und Tratsch nichts ausmachten.“ (S. 206. Vgl. auch S. 201, 205, 211)

e) In Wirklichkeit allerdings reagierte er sehr empfindlich, häufige Überreaktionen auf mediale Kritik sind bekannt. Selbst „harmlose Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten aus seinem Leben“ brachten ihn in Rage. Er ging von dem naiven Verständnis aus, die Presse habe „Äußerungen des Kaisers wortgetreu“ zu drucken. (S. 207. Vgl. auch S. 211)

Kaiser gegen die Medien

f) Von den Journalisten hatte er keine gute Meinung. Er teilte „das zu seiner Zeit vorherrschende negative Bild von der Presse und dem Berufsstand der Journalisten“. Wilhelm II. betrachtete die „Presse nicht als politischen oder gesellschaftlichen Akteur (…), sondern als bloßen Lautsprecher“. Den „redaktionellen Journalismus und seine systemspezifischen Regeln“ verstand er vermutlich nicht. (S. 205, 211)

g) „Der Kaiser begriff, dass die Presse die öffentliche Meinung nicht nur reflektierte, sondern sie auch beeinflusste.“ Wilhelm ging „von einem Stimulus-Response-Wirkungsschema aus. Die Berichte der Presse wirkten seiner Meinung nach direkt und in der von den Journalisten intendierten Weise auf die Leser.“ (S. 206) Dies führte einerseits dazu, dass er beispielsweise seinem Pressereferenten Lindau ‚direkte Befehle‘ zur Pressebeeinflussung gab. (S. 207) Andererseits ließ er einzelne Zeitungen oder Journalisten maßregeln, „zum Beispiel mit dem Ausschluss von Informationen“ – „eine Maßnahme, die auch im Pressereferat des Auswärtigen Amts angewendet wurde“. (S. 208)

Kaiser, Apparat & Medien

h) Solche Reaktionen schürten allerdings nur neue Kritik. „Insgesamt waren derartige Versuche, die öffentliche Kritik an Wilhelm zu unterbinden, kontraproduktiv für das Ansehen der Monarchie. Sie förderten vielmehr den oppositionellen Diskurs.“ (S. 209) Mitglieder des Apparates versuchten häufig, die Eskapaden des Kaisers „auszubügeln“. So baten sie die Journalisten, die meist improvisierten „kaiserlichen Reden erst nach Absprache ihrer Manuskripte mit einem Mitglied des Zivilkabinetts zu veröffentlichen“. Da einerseits der Kaiser eigenmächtig Redeversionen an die Medien gab und andererseits die Zeitungen unterschiedlich auf Veränderungswünsche des Apparates reagierten, existierten mitunter verschiedene Redetexte in der medialen Öffentlichkeit – was den Mediendiskurs weiter anheizte. (S. 210)

Die traditionelle „Ehrfurcht“ vor der Monarchie und der Person des Kaisers verhinderte letztlich, dass der Apparat des Kaisers und seiner Regierung durchaus erkannte Erfordernisse einer stärker strategisch-professionellen Medienarbeit umsetzen konnte. Wilhelm II. hingegen konnte gegenüber der Administration in die Waagschale werfen, dass seine authentisch-improvisierte Kommunikationsarbeit zwar nicht unbedingt gegenüber den Journalisten, aber wohl gegenüber dem Volk durchaus erfolgreich war. Ein „Volkskaiser“ und das Einstellen auf ein zunehmend politisch-parlamentarisches „Interessen-System“ waren letztlich aber unvereinbar.

Anmerkungen

1 Am meisten Aufsehen erregte die so gen. Daily-Telegraph-Affäre Ende 1908. Diese führte im Ausland zu diplomatischen Verwicklungen und in Deutschland zu einer innenpolitischen Krise. Vgl. Glaab 2008, S. 201.