Kommerz nutzt Intellekt und Sprachgewalt von Literaten
Wirtschaft sucht Kreativität
1886 richtete Julius Maggi eines der ersten Reklame- und Pressebüros in einem Unternehmen überhaupt ein und ernannte als dessen Vorsteher den noch unbekannten Frank Wedekind. Firmengründer Maggi konnte der Dreifachbelastung als technischer, geschäftsführender und für den Reklameaufwand verantwortlicher Direktor nach dem Durchbruch seines Unternehmens mit Suppennahrung und Suppenwürze nicht mehr gerecht werden.1 Vermutlich ahnte Maggi auch, dass seine bisherigen Annoncen und Reklamen von pedantischer Nüchternheit statt von Eloquenz und Originalität zeugten. Hier ein Beispiel für diese Anzeigen aus der Maggi-Frühzeit:
Eine Hauptsache bei der Zubereitung von Maggi-Suppen ist das Salzen bis zur Schmackhaftigkeit und das Kochen bis die Suppen etwas schleimig werden, was bei starkem Sieden in ca. 15 Minuten der Fall sein wird.
(Anzeige von 1885)2
Für die nötige literarische Würze sollte deshalb der begabte Wedekind sorgen. Wedekind war allerdings nicht Maggis erste Wahl.
Maggi auf Personalsuche nach Literaten
Julius Maggi suchte händeringend nach einer Kraft für den Vorsteherposten seines neuen Reklame- und Pressebüros: Der ideale Kandidat sollte wortgewandt und kreativ sein, denn eine spezifische Ausbildung für diesen Beruf gab es noch nicht, die verwandte journalistische Lehre einmal ausgenommen. Maggi favorisierte den sprachbegabten Karl Henckell (1864-1929). Dieser hatte sich auf dem Buchmarkt bereits einen Namen gemacht und betrieb später, ab 1895, in Zürich auch einen Verlag. Henckell, früh vom Naturalismus und sozialrevolutionären Ideen beeinflusst, schrieb vor allem Gedichte und Liebeslieder. Maggi vermutete wohl auch eine gewisse fachliche Affinität des Literaten, weil Henckells Bruder Gustav (1859-1942) zunächst im Außendienst für eine Münchner Konservenfabrik unterwegs war und 1886 in Lenzburg eine eigene Konservenfabrik gründete.3
Henckell lehnte jedoch die ihm angebotene Stelle ab, schwärmte aber von den epischen und lyrischen Fertigkeiten des noch unbekannten Frank Wedekind. Der 22-jährige Dichter befand sich nach einem Familienzwist in einer existenziellen Notlage: Nach dem Abitur hatte Wedekind zunächst das Studium der Germanistik und französischen Literatur in Lausanne aufgenommen. Auf Wunsch seines Vaters war er dann aber nach München gewechselt, um Jura zu studieren.4 Sein Herz hörte jedoch nicht auf, für die – in den Augen des Vaters brotlose – Kunst zu schlagen, weshalb er sich heimlich der Kunstgeschichte und Lyrik zuwandte. Als der Vater ihm auf die Schliche kam, folgte das familiäre Zerwürfnis: Er brach den Kontakt zu seinem Sohn ab und strich ihm die monatlichen Zuwendungen. Von nun an musste Wedekind für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen.5 Von der Schriftstellerei allein konnte er jedoch nicht leben, weshalb ihm das Angebot aus dem Hause Maggi gerade recht kam.
Im November 1886 begann Wedekind seine Arbeit für das Unternehmen, damals noch in Kemptthal ansässig.6 Er unterstand direkt dem Firmenchef und kam in den Vorzug, lästige Schreibarbeiten direkt an dessen Bürogehilfen delegieren zu können. Die Übersetzungen ins Französische und Italienische erledigten die „Kommis“, also Handlungsgehilfen bzw. kaufmännische Angestellte, die den Warenversand ins In- und Ausland abwickelten. Dadurch konzentrierten sich Wedekinds Tätigkeitsfelder auf das Verfassen von Textreklamen und Annoncen für die beiden Produktfelder Suppennahrung und Suppenwürze. Außerdem sollte er Pressekontakte herstellen und pflegen.
Bis April 1887 bekleidete er das Amt als Vorsteher, anschließend stand er dem Unternehmen weitere drei Monate als freier Berater zur Seite.7 Hatte der gesellschaftskritische Wedekind die Arbeit für das Unternehmen nie sonderlich geliebt, war auch das Gehalt als freier Berater sehr spärlich: Seine Reklamen wurden ihm nur noch stückweise bezahlt. So verließ Wedekind nach nur zehn Monaten das Unternehmen Maggi.
Anmerkungen
2 Vgl. dazu Kunczik 1997, S. 217; Kieser 1992, S. 10.
3 Vincon 1992, S. 207f.; Brockhaus 1989, 9. Bd.., S. 675; Kunze http://www.klauskunze.com/hf/bio/1856.htm
5 Nachtsheim 1982, S. 217. Vincon 1992, S. 208. Kieser 1992, S. 7.