Einleitung (Fortsetzung)

An Öffentlichkeit und Medien führt kein Weg mehr vorbei: Legitimationsbeschaffung für den deutschen Flottenausbau

Abb.: Wilhelm II. (1905), Kaiser von 1888 bis 1918. Quelle: Bundesarchiv , Bild 146-2004-0096/E. Bieber / CC-BY-SA http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/

Vorangetrieben durch den jungen Kaiser Wilhelm II., der sich eine mächtige Hochseeflotte erhoffte, die das Deutsche Reich endlich auf die Bühne der Weltpolitik bringen sollte, entwickelte der neue Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred von Tirpitz eine Strategie, die als ‚Tirpitz-Plan‘ in die Geschichte einging. Tirpitz folgerte bezogen auf unsere Kommunikationsthematik erstens, dass um eine derartige Flottenexpansion zu ermöglichen, die Verabschiedung mehrerer Flottengesetze und -novellen sowie entsprechende Budgetbewilligungen im Reichstag notwendig waren. Und er erkannte zweitens „frühzeitig die Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Durchsetzung und spätere Novellierung der Gesetze“ (Rahn 2005, S. 5).

Vereinfacht gesagt: Rüstungs- bzw. Militärprojekte – noch dazu in bislang unüblichen Dimensionen – brauchen eine gesetzlich-rechtliche Legitimation. Diese ist bei Vorhandensein eines (wenn auch in seinen Befugnissen beschränkten) Parlaments (Reichstag)1 wiederum nicht ohne Akzeptanz in der öffentlichen Meinung zu bekommen, dafür muss in der Öffentlichkeit „gearbeitet“ werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, errichtete Tirpitz eigens ein Nachrichtenbüro2, dessen wichtigste Aufgabe in zweckmäßiger „Erläuterung und Propagierung der Flottenpolitik“ (Deist 1976, S 330) lag. Er schuf damit eine Instanz, die als zentrale Behörde für die Kommunikationsarbeit rund um Marinefragen fungierte und Parlamentarier, Journalisten und die allgemeine Öffentlichkeit mit spezifischen Instrumenten gezielt ansprach. So sollte es gelingen, eine Bewegung im Volke auszulösen und die Politiker zu einer Zustimmung in der Flottenfrage zu bewegen. Diesbezüglich kann die Kampagne als erfolgreich angesehen werden, da die gewünschten Flottengesetze und -novellen verabschiedet wurden sowie die Popularität der Marine wuchs.

Flottenkampagne zwischen Modernität, obrigkeitsstaatlichen Strukturen und politisch-propagandistischen Aspekten

Das neue Maß an Planmäßigkeit, Organisiertheit und Instrumenteneinsatz ließ Zeitgenossen und spätere Betrachter auch den Begriff der „Flotten-Propaganda“ gebrauchen. Heute gehe dies wesentlich auf das „Standardwerk“ (so die Klassifizierung durch Bollenbach 2009, S. 2) zur Thematik, „Flottenpolitik und „Flottenpropaganda“ von Deist (1976), zurück. Auch andere schreiben vom „Propagandafeldzug ohnegleichen“ (Clark 2009, S. 184).

Unter Berücksichtigung heutigen kommunikationswissenschaftlichen Begriffsgebrauchs halten wir eine unreflektierte Typologisierung und Stigmatisierung all dessen, was damals ablief, als „Propaganda“ für nicht erkenntnisfördernd.3 Gleichwohl wird es nötig sein, aus heutiger Perspektive kritisch vorzugehen und bestimmte Aspekte der Kampagne im Übergangs- und Spannungsfeld zwischen Public Relations (PR) und Propaganda zu problematisieren.4 Dies auch, weil das damalige Deutschland bekanntlich keine Demokratie, sondern ein monarchistischer Obrigkeitsstaat war. Die Kampagne leistete geistig einer durchgreifenden Militarisierung der deutschen Gesellschaft Vorschub – und damit auch einen Beitrag zur Ermöglichung des Ersten Weltkrieges.5 Insofern ist sie auch ein geeigneter Gegenstand, um die gesellschaftliche und ethische Verantwortung von Kommunikationsmanagern und ihren Auftraggebern zu diskutieren.

 

Autor(en): R.-M.U.C.K.T.L.

Anmerkungen

1 Dies heißt nicht, dass die Akteure der kaiserlichen Politik und Marine die Zuständigkeit des Reichstags bejaht hätten. Sie mussten aber damit umgehen. Vgl. von Bredow 1978, S. 701.

2 Die zeitgenössische Schreibweise lautete: Nachrichtenbureau.

3 Vgl. dazu auch die Auseinandersetzung von und in Bollenbach 2009, S. 137, mit Stöber 2000.

4 „Bei den Bemühungen Tirpitz‘, die deutsche Flottenrüstung zu popularisieren, überschneiden sich Propagandaelemente und Ansätze von Öffentlichkeitsarbeit nach unserem heutigen Verständnis“. So Rosumek 2007, S. 36.

5 Vgl. Deist 1976, Baumgart 1986 und Bollenbach 2009.