„Öffentlichkeitsarbeit“ 1917 (I)

Kirchlich-evangelische Öffentlichkeitsarbeit

Von Wichern zu Hinderer

Abb.: Faksimile aus: Schwarz 1951, S. 61.

Die derzeit früheste bekannte Nutzung des Begriffes Öffentlichkeitsarbeit stammt nicht etwa aus der unternehmerischen oder politischen Traditionslinie, sondern aus der kirchlich-evangelischen. Beginnend mit Johann Hinrich Wichern, einem kirchlich-karitativen Kommunikations-Pionier (1808-1881), erkannte die evangelische Kirche in einem durchaus widerspruchsvollen Prozess mindestens zweierlei: a) Sie hat nicht nur die christliche Religion durch Missionierung zu verbreiten, sondern auch außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen aktiv in Gesellschaft und Politik zu wirken. Aus dem Begriff der inneren Mission wurde der der öffentlichen Mission abgeleitet. b) Sie muss dazu auch und gerade an der bestehenden (nichtkirchlichen) Presse und zwar planmäßig mitarbeiten.

Voran ging hier der 1891 gegründete Evangelisch-Soziale Presseverband für die Provinz Sachsen unter Geschäftsführer Stanislaus Swierczewski. Der 1912 von August Hinderer gegründete württembergische Presseverband realisierte den endgültigen Durchbruch zu moderner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.1 Spätestens ab 1917 wurde dann auch explizit von Öffentlichkeitsarbeit gesprochen. Auf der Vertreterversammlung des Evangelischen Presseverbandes für Württemberg am 25. Juni 1917 hielt August Hinderer ein Referat Neue Bahnen evangelischer Öffentlichkeitsarbeit. In jener Zeit – 1917/1918 – trat Hinderer auch sein neues Amt als Direktor des Evangelischen Presseverbandes für Deutschland an.2

Döring (1997, S. 134) macht darauf aufmerksam, dass der Begriff Arbeit in der evangelischen Kirche für die Bezeichnung einzelner Tätigkeitsbereiche üblich war: Männerarbeit, Frauenarbeit, Missionsarbeit…

Katsch und Hinderer

Abb.: Faksimile aus: Katsch 1917, S. 14.

Die – bislang – früheste terminierbare, schriftlich nachgewiesene und (!) als Primärquelle publizierte sowie heute noch auffindbare Verwendung des Begriffes Öffentlichkeitsarbeit kommt allerdings Ferdinand Katsch zu. Katsch, seinerzeit stellvertretender Direktor des Evangelischen Presseverbandes, gebrauchte ihn in einem Vortrag, der im Juli 1917 gedruckt erschien.3

Hinderer reklamierte später das gedankliche Substrat des Katsch-Vortrages für sich, was auf Grund der übrigen Indizien und weiteren Sekundärquellen auch recht wahrscheinlich ist. (Denn Hinderers Referat datierte vom 25. Juni 1917, also vor dem Juli – T.L.) Katsch verwies selber in seinem Vortrag auf ‚Beratungen‘ über ‚neue Bahnen evangelischer Öffentlichkeits-Arbeit‘ in Stuttgart, an denen er teilgenommen hatte, und würdigte die diesbezügliche Pionierrolle des württembergischen Presseverbandes, ohne allerdings Hinderer als dessen Direktor zu erwähnen.“ (Liebert 2003, S. 68).4

Abb.: Faksimile aus: Katsch 1917, S. 15.

Hinderer seinerseits führte in den Literaturangaben zu einem Lexikonbeitrag von 1930 unter seinem Autorennamen an: Neue Bahnen evg. Öffentlichkeitsarbeit. 1917. (Gunkel/Zscharnack 1930, Sp. 1466; auch Hinderer in Schneider 1925, S. 221) Eine schriftliche und öffentlich verbreitete Fassung seines Vortrages vom 25. Juni 1917 scheint es aber nicht zu geben oder sie ist verschollen, jedenfalls war sie „in Bibliotheken und Archiven nicht aufzufinden“. Von Hinderer ist bekannt, dass er oft frei und nur anhand von Notizzetteln vortrug. (Höckele-Häfner 2001, S. 90 und 16)

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien in (West-) Deutschland ein Buch über August Hinderer und seine Pionierrolle bei der kirchlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Schon im Vorwort des Verfassers – Walter Schwarz war einstiger Mitarbeiter von Hinderer – fällt der Begriff Öffentlichkeitsarbeit.5 Das Manuskript für dieses Buch wurde 1950 abgeschlossen (das Vorwort datiert vom 30. August), also in jenem Jahr, in dem nach langjährig vorherrschender Auffassung Albert Oeckl als Erster den Begriff Öffentlichkeitsarbeit benutzt haben soll (dazu weiter hinten mehr). Schwarz regte zugleich ein späteres Buch speziell zur „Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche“ an.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Döring 1997a und 1997b sowie Liebert 2003, S. 39-45. Aktuell auch: http://www.epd.de/zentralredaktion/epd-zentralredaktion/artikel/evangelischer-presssedienst-feiert-100-j%C3%A4hriges-besteh

2 Schwarz 1951, S. 61. Vgl. auch Döring 1997a, S. 133. Die zeitgenössische Schreibweise Preßverband haben wir hier modernisiert.

3 Katsch 1917, S. 14f. Döring verweist nach Recherchen in einem kirchlichen Archiv auch auf eine weitere Begriffsnennung durch Katsch in einer EPD-Broschüre, die „vermutlich auch aus dem Jahr 1917“ stammt, möglicherweise also vor der vom Juli 1917 erschienen war (Döring 1997a, S. 134, Fußnote 2).

4 Vgl. ggf. auch Döring 1997a, S. 134.

5 Schwarz 1951. Vgl. S. 8, dann vor allem 61.