„Öffentlichkeitsarbeit“ in den 1920er-/1930er-Jahren

„Öffentlichkeitsarbeit“ in Lehre und Praxis

Abb.: Ausstellungstafel des Evangelischen Presseverbandes auf der Presseausstellung 1928 in Köln: „Öffentlichkeitssache“. Quelle: Hinderer 1929, Zeitungsspiegel, S. 72.

August Hinderer, Direktor des Evangelischen Presseverbandes und 1925/26 Gründer des Seminars für Publizistik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Berlin, spielte bei der Ausweitung der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft eine wichtige, wenn auch heute noch unterschätzte Rolle.1 In der Weimarer Republik beschäftigte er sich – dem damaligen Begriffsgebrauch gemäß – mit Propaganda bzw. Meinungswerbung und bot entsprechende Lehrveranstaltungen unter diesen Titeln an.

Aus den konkreten Themen geht hervor, dass sich Hinderer auf die Kommunikationsarbeit von weltanschaulichen Gruppierungen konzentrierte, was auf Grund seiner Herkunft als evangelischer Publizist auch nahe lag. „Obwohl er sich also nicht allgemein auf Organisationen (Unternehmen etc.) bezog, also keine im heutigen Sinne umfassende, breite Organisationskommunikation im Blick hatte, war er wohl einer derjenigen, der auf theoretischer Ebene am ehesten so etwas wie Öffentlichkeitsarbeit im heutigen Sinne lehrte.“ (Liebert 2003, S. 67)

Für diese Interpretation gibt es mehrere Indizien:

a) 1931 bot Hinderer eine Veranstaltung an unter dem Titel: Protestantismus und Öffentlichkeit: Hauptprobleme einer protestantischen Kulturpolitik.

b) An seinem Seminar war eine Dissertation geplant zum Thema: Die evangelische Kirche und ihre Stellung in der Öffentlichkeitsarbeit, die aber wohl nie geschrieben wurde.2

c) Öffentlichkeitsarbeit fand 1930 in einem einschlägigen theologischen Wörterbuch innerhalb des Stichwortes Presse/Evangelisch-kirchliche Pressearbeit Verwendung. Hinderer nahm dabei Bezug auf seine Aktivitäten von 1917/19, akzentuierte aber auch die neuen Möglichkeiten in der Weimarer Republik:

Schon die fortschreitende Einsicht in das Wesen der P(resse) mit ihrem Doppelcharakter als Gestalterin und als Ausdruck der ‚Öffentlichkeit‘ hatte zum Postulat evg. Willensbildung weitergeführt als indirekte Aufgabe und notwendigem Korrelat der P.arbeit. Durch die Mittel der auf Anregung Württembergs 1919 von den P.verbänden ersammelten Reformationsdankspende war die Inangriffnahme dieses erweiterten Programms ermöglicht worden. Stärker noch waren die Antriebe, die aus den geistig-politischen Umschichtungen der Nachkriegszeit erwuchsen. So weitet sich P.arbeit zur Öffentlichkeitsarbeit.

(Gunkel/Zscharnack 1930, Sp. 1466; zit. nach Liebert 2003, S. 130)

Flankiert wurde die Wortschöpfung in weiteren Quellen von ähnlichen Begriffen wie evangelischer Öffentlichkeitswille, Öffentlichkeitsdienst u. a.3

„Öffentlichkeitsarbeit“ auf der Presseausstellung 1928

Viel spricht dafür, dass der Begriff Öffentlichkeitsarbeit seinerzeit eng an die evangelisch-kirchliche Sphäre und die Person Hinderers gebunden war. Zumindest so lange in anderen gesellschaftlichen Bereichen keine Begriffsverwendungen gefunden werden, muss dies angenommen werden.

Allerdings bestand durchaus die Chance, dass das innerkirchliche Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit in der Fach- und sonstigen Öffentlichkeit wahrgenommen werden konnte. Zumal sich diese Öffentlichkeitsarbeit u. a. selbst zum Ziel setzte, die „pressewissenschaftliche Arbeit an den Hochschulen“ zu fördern. Eine solche Chance bot beispielsweise die Presseausstellung PRESSA 1928 in Köln, auf der auch der Evangelische Presseverband vertreten war. In einer Beschreibung der Exponate kam der Begriff Öffentlichkeitsarbeit zwei Mal vor, auf einigen der abgebildeten Schautafeln sind ähnliche Formulierungen wie „Religion ist Öffentlichkeitssache“ oder „Dienst (der evangelischen Presseverbände) an der Öffentlichkeit“ zu erkennen.4

Abb.: Ausstellungstafel des Evangelischen Presseverbandes auf der Presseausstellung 1928 in Köln: „Dienst an der Öffentlichkeit“. Quelle: Hinderer 1929, Zeitungsspiegel.

Abb.: Erläuterungstext zur Ausstellungsbeschreibung (Auszug): „Öffentlichkeitsarbeit“. Quelle: Hinderer 1929, Zeitungsspiegel, S. 75.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Liebert 2003, S. 60f.; Zeitungswissenschaft 1934/1, S. 20ff.; Schwarz 1951, S. 118ff.; Höckele-Häfner 2001, S. 216ff.; Höckele-Häfner 2003.

2 Zeitungswissenschaft 1931/5, S. 310, und 1932/5, S. 318. Vgl. auch Szyszka 1997, S. 326.

3 Vgl. dazu Liebert 2003, S. 68 und 131.

4 Hinderer (Hrsg.) 1929, S. 72-76. Vgl. auch Höckele-Häfner 2003, S. 57ff.