Bismarck an der Macht: 1868-1890 – finanzielle und juristische Formen seiner Pressepolitik

Bismarcks Geldquellen

Ab 1868 konnte Bismarck „zur verdeckten Förderung der Regierungspresse (…) Zinserträge aus dem so genannten Welfenfonds, dem beschlagnahmten Privatvermögen der 1866 abgesetzten Herrscher von Hannover und Hessen“ nutzen (Piereth 1994, S. 35f.). Zur Höhe des Fonds finden sich unterschiedliche Zahlen.1

Die verbreitete Bezeichnung „Reptilienfonds“ geht auf Bismarcks Äußerung von 1869 zurück, die welfischen Umtriebe bzw. geheimen Staatsfeinde seien „bösartige Reptilien“ (Kunczik 1997, S. 91f.). Bismarck hatte am 23. Januar 1869 im preußischen Abgeordnetenhaus gesagt: „Ich glaube, ich verdiene Ihren Dank, wenn wir uns dazu hergeben, bösartige Reptilien zu verfolgen, bis in ihre Höhlen hinein, um zu beobachten, was sie treiben.“ (Zit. nach Bialowons/Raue 1979, S. 96; vgl. auch Bismarck 1876)

Dieser Begriff wurde später auf die Journalisten und Zeitungen übertragen, die aus diesem Fonds Geld erhielten. „Bismarck selbst behauptete später zwar, er habe an die deutschen Zeitungen aus diesem Korruptionsfonds nur bescheidene Summen gezahlt, da die einheimische Presse billig zu ködern war, während zur Bestechung ausländischer Zeitungen durch die deutschen Gesandtschaften Riesensummen aufgewendet werden mussten. Spätere Nachforschungen haben jedoch ergeben, dass es sogar mehrere Geheimfonds gegeben hat, aus denen nicht nur zahlreiche deutsche Zeitungen, sondern auch einzelne Journalisten gespeist wurden, die Bismarck selber ironisch seine ‚Preß-Bengel‘ nannte.“ (o. V. 1980, S. 8)

Bis heute sind die genauen Summen, die „insgesamt an Zeitungen und Journalisten flossen, die bereit waren, sich gouvernemental ,inspirieren‘ zu lassen“, nicht bekannt. Der uneingeschränkte Zugang Bismarcks zum Welfenfonds ließ diesen zu einer „unkontrollierbare(n) ‚Machtquelle‘“ werden, mit dem der Kanzler „nach Gutdünken Menschen und Zeitungen von sich abhängig machte“ (Koszyk 1966, S. 239).

Reichspressegesetz von 1874

Im „Hinblick auf die nationalpolitischen Ziele Bismarcks (war) ein Abgehen von der harten Reglementierung der öffentlichen Meinung dringend geboten.“ (Naujoks 1975, S. 39) Mit dem Reichspressegesetz vom 1. Juli 1874 wurden alle nach bisherigem Landesrecht bestehenden Beschränkungen der Pressefreiheit aufgehoben, stattdessen wurde die Pressefreiheit im gesamtdeutschen Raum verankert. Denn das neue Gesetz mit seinen 31 Paragraphen ersetzte die bis dahin gültigen 27 Landespressegesetze.2

Zum Schutz der Presse beseitigte das Gesetz den Kautions- und Konzessionszwang, schaffte den Zeitungsstempel sowie die außerordentliche Besteuerung des Pressewesens ab und verbot den Entzug des Postdebits für jede im Deutschen Reich erscheinende politische Zeitung.3

Damit wurde die endgültige Abkehr von der präventiven und willkürlichen hin zur nachgelagerten und strafrechtlich legitimierten Intervention des Staates in Presseangelegenheiten vollzogen. Künftig durfte die Regierung also nicht mehr bei nur möglichen Straftaten der Presse einschreiten, sondern einzig und allein bereits verübte Pressevergehen ahnden – und das auch nur auf Grundlage der geltenden Strafgesetze.4

Trotz formaler Pressefreiheit: administrative Eingriffe und Sondergesetze

Administrative Eingriffe in das Pressewesen gehörten damit aber nicht der Vergangenheit an. Handhabe dazu boten §§ 25ff. des Reichspressegesetzes, die der Pressefreiheit Grenzen setzten, insofern sie mit den §§ 85, 95, 111, 130 und 184 des Strafgesetzbuches in Konflikt geriet. Wenn also bestimmte strafrechtliche Tatbestände vorlagen, eine Zeitung beispielsweise zum Hochverrat aufrief, sich der Majestätsbeleidigung schuldig machte, den öffentlichen Frieden gefährdete oder unzüchtige Schriften verbreitete, sah das Reichspressegesetz eine Beschlagnahmung redaktioneller Druckschriften ohne richterliche Anordnung vor.5

Abb.: Karikatur von Wilhelm Scholz zur Beendigung des Kulturkampfes. Papst Leo XIII. und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Fußkuss auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“ Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878). Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Vor allem in den 1870er-Jahren in der Zeit des Kulturkampfs zwischen Bismarck und der katholischen Kirche, aber auch später im Kampf gegen die Sozialdemokratie wurde von der Möglichkeit der Beschlagnahme Gebrauch gemacht. Unter dem Vorwand eines Anschlages auf Kaiser Wilhelm I. wurde der wichtigste innenpolitische Gegner, die Sozialdemokratie – und damit deren Presse –, mit einem Sondergesetz 1878 gleich ganz verboten. Nach anfänglicher Verwirrung nutzte die Arbeiterbewegung allerdings geschickt die Möglichkeiten sowohl einer nicht offen parteilichen Presse im Inland als auch einer Klartext redenden Presse aus dem Ausland, die nach Deutschland illegal eingeschmuggelt wurde.6

Die lange Aufrechterhaltung dieses auch von Nicht-Sozialdemokraten als zunehmend ungerecht empfundenen Ausnahmegesetzes, des so genannten Sozialistengesetzes, zeigte allerdings auch, dass Bismarck das Gespür für öffentliche Meinungs- und Reputationsbildungsprozesse verloren hatte. Es war kein Zufall, dass Bismarck im selben Jahr (1890) als Reichskanzler entlassen wurde, als das Sozialistengesetz fallen gelassen werden musste. Die Sozialdemokratie und ihre Presse kehrte 1890 auf die offizielle Bühne zurück, stärker als je zuvor.

Ein zweiter, logisch anschließender Beitrag beschäftigt sich mit der unmittelbaren, konkreten publizistischen und Pressearbeit Bismarcks bzw. in seinem Auftrag.

Autor(en): A.-M.G.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. zum Beispiel Bialowons/Raue 1979, S. 96, und Kunczik 1997, S. 91.

2 Vgl. Wilke 2000, S. 254. Sösemann 1992, S. 295. Koszyk 1966, S. 295.
3 Vgl. Koszyk 1966, S. 244.
4 Vgl. Koszyk 1966, S. 243f.

5 Vgl. Wilke 2000, S. 254.
6 Vgl. Liebert 2003, S. 30ff.