Einleitung: Presse-Politik und Presse-Arbeit
Bismarck bislang vorwiegend als Pressepolitiker betrachtet
Die relevanten Aktenbestände der Reichsministerien waren bis in die 1930er-Jahre hinein bzw. vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kaum zugänglich. Seinerzeitige Projekte einer Aufarbeitung von Bismarcks Verhältnis zu Presse und öffentlicher Meinung konnten deshalb meist nicht verwirklicht werden.1 Wappler (1935) endet mit 1862. Loeber (1935) behandelt die Zeit 1862-1866. Wichtige Arbeiten nach 1945 sind: Morsey (1956), Fischer-Frauendienst (1963), Naujoks (1968 und 1979), Overesch (1974), Grube (1975), Wetzel (1975), Hink (1977), Pohl (1984), Sösemann (1992 und 2003), Stöber (1996).
Bismarcks Verhältnis zur Presse wurde bislang vornehmlich aus historisch-publizistischer Perspektive betrachtet und auf das kommunikationspolitische Regulationsinstrumentarium reduziert, das er einsetzte, um Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben. Presse-Politik wurde also vielseitig behandelt, Presse-Arbeit als Teilbereich von Öffentlichkeitsarbeit allerdings kaum. Dennoch lassen sich dazu einige Aussagen treffen.2
Bismarcks spezifische Strategie staatlicher Pressearbeit
Spätestens seit den Revolutionen von 1848/49 hatte sich bei den in den deutschen Staaten Herrschenden die Erkenntnis durchgesetzt, „dass wegen der enorm gestiegenen Anforderungen die Pressepolitik (und Pressearbeit – T.L.) innerhalb des Regierungsapparates besser organisiert werden müsse“ (Piereth 1994, S. 33). Auch in Preußen setzte man auf die Installierung und Vervollkommnung eines Pressebüros mit durchaus wechselnden Bezeichnungen (Literarisches Kabinett, Zentralstelle für Presseangelegenheiten, Literarisches Büro). Zu diesen Büros gibt es im PR-Museum einen eigenen Beitrag.
Auch unter Bismarck existierte ein solcher organisatorischer Apparat. Als Hauptstrategie wählte er aber gerade nicht „eine institutionelle Verankerung der Pressepolitik“, weil er die Schlagkraft solcher Büros für zu gering hielt und diese auch „nicht selten die Regierung bloßstellte(n)“ (Piereth 1994, S. 41).
Bismarck hatte mit seiner Strategie, „weitaus mehr auf persönliche, nicht institutionalisierte Beziehungen zu einzelnen Journalisten und deren Blättern“ zu setzen, Erfolg. Ihm spielte dabei in die Hände, dass das „Gros des liberalen Bürgertums 1866 Bismarcks Deutschlandpolitik vehement zu unterstützen begann“.
Nicht ausgefeilte Propagandatechniken, sondern vor allem diese partielle, aber für einige Jahre dominierende Interessenidentität garantierte den Erfolg der Bismarckschen Pressearbeit.
(Piereth 1994, S. 41)
Als diese Interessenidentität nachließ und sich mit dem Deutschen Reich 1871 Bismarcks Wirkungs- und Verantwortungsraum vergrößerte, mussten freilich auch institutionalisierte Formen an Bedeutung gewinnen. Dennoch bescherte die Historie auch neue Chancen, seine personalisierten Einflussmechanismen durch die Verlockung und Macht des Geldes zu perfektionieren und auszuweiten, indem sie ihm ab 1868 den unkontrollierten Zugang zu Geheimfonds ermöglichte. Als in den 1870ern und 1880ern seine offiziösen Presseverbindungen stärker ruchbar wurden, reagierte Bismarck darauf zwar durchaus auch mit veränderten Methoden. Er schaffte seine „alten Methoden“ allerdings nicht grundsätzlich ab, sondern versuchte, sie stärker zu konzentrieren, zu kontrollieren und zu tarnen (vgl. zum Beispiel weiter hinten zur Pressearbeit im Auswärtigen Amt oder bei Korrespondenzen).