Persuasive Kommunikation: persönliche Eingriffe Bismarcks
Emser Depesche 1870
Ein prägnantes Beispiel dafür, wie Bismarck selbst „Hand anlegte“, ist die berühmt-berüchtigte Emser Depesche. Bismarck nutzte die publizistische Zuspitzung – allerdings allein durch Streichungen, ohne Änderungen oder Zusätze1 – von Äußerungen über eher nebensächliche Vorgänge, um ausgehend von bestehenden Spannungen Frankreich in den Deutsch-Französischen Krieg zu treiben.
Kurz zum faktuell-historischen Hintergrund: Der
katholischen Linie Hohenzollern-Sigmaringen (war) 1869 und erneut 1870 die spanische Krone angetragen (… worden), wodurch sich Frankreich bedroht fühlte. Auf Druck Bismarcks nahm Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen an, trat aber schließlich in Absprache mit dem preußischen König wieder von der spanischen Thronkandidatur zurück. Jetzt verlangte Frankreich über seinen Botschafter von König Wilhelm I., der in Bad Ems weilte, eine Garantie für den Verzicht des Hauses Hohenzollern-Sigmaringen auf die spanische Krone für alle Zeiten. Wilhelm I. lehnte ab (…)
(Naumann 2008, S. 51)
Nachdem der König Bismarck darüber am 13. Juli 1870 telegrafisch in Kenntnis gesetzt hatte, sah Bismarck die Chance, erstens durch authentisch wirkende Öffentlichmachung diplomatischer Abläufe und zweitens durch die gezielte Bearbeitung der Publikation bestimmte für Preußen günstige und für Frankreich ungünstige Wirkungen hervorzurufen. „Bismarck veröffentlichte diese ‚Emser Depesche‘ in gekürzter und damit schärfer wirkender Form und stellte damit Frankreich mit seinen überzogenen Forderungen vor aller Öffentlichkeit bloß.“ (Naumann 2008, S. 51)
In Deutschland führte dies zu Solidarität innerhalb Preußens und süddeutscher Akteure mit Preußen, die in Patriotismus überging und schließlich eine allgemeine Mobilisierung ermöglichte. Napoleon III. von Frankreich, der „auch im eigenen Land unter Druck geriet und die diplomatische Niederlage nicht hinnehmen konnte, erklärte (…) Preußen am 19.7.1870 den Krieg.“ (Naumann 2008, S. 52)
Krieg-in-Sicht-Krise 1875
Nach der schnellen wirtschaftlichen und auch militärischen Erholung Frankreichs befürchtete Bismarck einen Angriff des Nachbarn als Revanche für die Annexion von Elsass und Lothringen. Wieder versuchte Bismarck daraufhin, die diplomatische Krise durch publizistische Hinterlist zu seinen Gunsten zu entscheiden. Zu diesem Zweck beauftragte er seine vertrauenswürdigsten Journalisten damit, Artikel zu schreiben, in denen ein deutscher Präventivschlag angekündigt wurde, sollte Frankreich seine Aufrüstung nicht stoppen.
An dem „inszenierte(n) publizistische(n) Dauerfeuer“ (Sösemann 1992, S. 301), das in dieser Zeit über das Deutsche Reich und Frankreich niederging, verbrannte sich der Reichskanzler indes selbst. Frankreich durchschaute diesen Bluff und startete eine eigene, weitaus wirkungsvollere offiziöse Gegenkampagne.
Für Bismarck hatte diese Krieg-in-Sieht-Krise zunächst negative Konsequenzen, aus denen er allerdings durchaus sinnvolle strategische Konsequenzen für die künftige Außenpolitik schloss. Aber das „Bismarcksche Manöver“ ließ auch „die Diskussion über die offiziöse Presse und über die Verwendung des parlamentarischer Kontrolle entzogenen ,Welfenfonds‘ (…) wieder aufleben“. (Sösemann 1992, S. 301)
Kampagne gegen russische Finanzinteressen 1887
1887 schien es Bismarck geboten, eine Presse-Kampagne gegen die „russische Geldwirtschaft“ zu entfachen. Ziel war es, den deutschen Kapitalmarkt gegen Russland zu sperren. Dazu wurden im Auftrage Bismarcks die finanziellen Verhältnisse des Zarenreiches in düsteren Farben gemalt. Als sich erste Auswirkungen auf die Berliner Börse zeigten, steuerten einflussreiche Berliner Börsenzeitungen mit pro-russischer Berichterstattung dagegen – was auch zunehmende Interessengegensätze zwischen Wirtschaft und Politik belegt.
Bismarck konnte entweder seine Kampagne abbrechen oder verschärfen – er entschloss sich für Letzteres und konnte die Stimmung gegenüber Russland 1888 weiter verschlechtern. Bald schwenkte die gesamte Presse in die Richtung der Bismarck-offiziösen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung ein. Die russischen Staatsanleihen mussten schließlich teilweise mit hohen Verlusten in Frankreich untergebracht werden.2